Endlich wieder ein Fußbal-Großereignis in einem Fußball-Land. Und die Deutschen haben ihre EURO von Beginn an gut aufgenommen, die zahllosen Gäste konnten und durften sich wohlfühlen. Was bleibt übrig, was war vielleicht doch nicht so gut, und wie schaut mein sportliches Resümee aus, nicht nur aus deutscher Sicht.
Das Turnier
Um erst mal mit einem Begriff aufzuräumen. Es war kein zweites Sommermarchen, erst recht kein Sommermärchen 2.0, das sollte es auch nie sein, auch wenn es so viele herbeischreiben und -reden wollten. Märchen gibt es nur einmal, oder haben die Grimms ein zweites Rotkäppchen geschrieben, Anderson eine zweite Meerjungfrau ins Leben gerufen.
Vielmehr war die EURO 2024 ein eigenständiges Turnier, mit der eigenen Geschichte. Unter völlig neuen Bedingungen, denn 2006 tobte nicht ein Krieg fast vor der Haustür. Was nicht heißt, das ich nicht trotzdem fast zwangsläufig Vergleiche ziehe.
Die Organisatoren um Chef Philipp Lahm haben das von vornherein erkannt, und entschieden, dass sie nichts nachahmen wollten und würden, auch wenn 9 der 10 Stadien schon 2006 genutzt wurden – ein Paradebeispiel für nachhaltige Arenen übrigens. Und Lahm selbst wollte nie Franz Beckenbauer sein, dieses Vorhaben wäre eh zum Scheitern verurteilt gewesen. Während der Kaiser omnipresent war, per Hubschrauber es schaffte, auch drei Spiele am Tag zu besuchen, blieb Lahm fast unsichtbar, vielleicht sogar zu viel. Wirklich zur Kenntnis genommen habe ich ihn während des Turniers erst, als er mal zu spät zu einer Partie gekommen war, weil sein Zug steckengeblieben war – ein Schicksal, das er mit so vielen Besuchern teilte.
Die Bahn wurde zum Ärgernis, was vor allem die auswärtigen Anhänger sehr überraschte. 2006 hatte noch alles wie am Schnürchen geklappt. Allerdings hätten die Fans sich zu Hause informieren können, denn fast alle Korrespondenten hatten gewarnt vor dem maroden Bahnnetz und den nie erscheinendenoder vespäteten Zügen. Dass allerdings auch der ÖPNV vielerorts in die Knie gehen würde und die Zuschauer teilweise nicht hin- und zurücktransportieren konnte, überraschte mich dann schon. Wozu wird eigentlich geplant, wenn es dann an Personal und Zügen fehlt. Echt ärgerlich wurde es, wenn wie in München geschehen, die Fans zur Abreise in Busse getrieben wurden, in denen sie dann vollgepfropft eine Stunde stehen mussten, ohne dass der Bus sich auch nur einen Millimeter fortbewegte.
Ansonsten waren die Deutschen großartige Gastgeber für großartige Gäste. Angesichts der gewaltigen Menschenmengen ist wenig passiert; viele hatten gar keine Eintrittskarten und kamen trotzdem erwartungsfroh hierher, um zu feiern. Ein paar Scharmützel, auch einige nationalistische Gesänge, aber alles hielt sich doch sehr in Grenzen. Der Fanmarsch in die Stadien wurde Allgemeingut zum Happening, hier waren die fröhlichen Holländer mit ihrem mit ihrem wiegenden und wogenden Links-rechts-und doch auch nach vorne Tanz eine Klasse für sich. Die nettesten Gäste unter den so vielen netten waren die Schotten, denen es sogar gelang, Münchner Bierkneipen leerzutrinken. Schade, dass sie früh wieder abreisen mussten nach dem für sie allerdings gewohnten Vorrundenaus.
Die UEFA wollte zeigen, wie fortschritllich sie ist. Eintrittskarten auf Papier gab es nicht, alles elektronisch per Handy und Apps, auch für die Zugfahrten. Das klappte auch weitgehend, Und wenn es hakte, halfen die fantastischen Volonteers. Und das im Bargeldland Deutschland, wo in vielen Geschäften elektronisches Zahlen immer noch unmöglich ist. Nehmt Euro mit, lautete dementsprechend eine Reisewarnung in fortschrittlicheren Ländern
Fürs Wetter kann niemand was(naja), aber was da zum Teil an Regen runterkam, war schon bemerkenswert. Und siehe da, es wurden die Grenzen deutscher Baukunst sichtbar. So entluden sich wahre Sturzbäche voller Regenwasser vom Dach des Dortmunder Westfalenstadions auf die Zuschauer. Anders sei der Ausbau architektonisch nicht möglich gewesen, hieß es zur Begründung. Manche flüchteten, manche genossen tanzend das kühle Nass. Ikonische Bilder in schöner Regelmäßigkeit. Erstaunlich gut vertrugen die Rasenflächen das Nass, die Drainage funktionierte einwandfrei; es gab also keine Wasserschlacht wie 1974 in Frankfurt, wo die Bälle dauernd in riesigen Pfützen steckenblieben. Andererseits: Der Rasen in Frankfurt war dennoch eine Katastrophe. Angeblich nicht zu reparieren wegen zweieer Footballspiele letzten April Novmber.
Und wie war der Sport?
Zum dritten Mal waren es 24 Teams, und diese Aufstockung war durchaus eine Belebung. Gerade die echten Außenseiter wie Albanien und Georgien hatten tolle, unterhaltsame Spiele, weil sie vielleicht nicht ganz so taktisch dachten. Das 24er-Format ist und bleibt allerdings ein Ärgernis, weil es eben keine Zweierpotenz ist, man also mit dem Kunstgriff von vier besten Dritten auf eine solche Zahl kommen muss. Da werden einerseits Äpfel mit Birnen verglichen, andererseits haben die späteren Gruppen einen Riesenvorteil. Wenn schon Erweiterung, dann halt auf 32, die acht zusätzlichen Länder hätten noch mehr Leben, noch mehr Geschichten gehabt. Haalands Norweger seien nur beispielhaft erwähnt.
Ansonsten wurden die Spiele immer taktisch geprägter, je weiter das Turnier fortschritt. Wirklichen Offensivfußball zeigten nur die Spanier und die Deutschen, die das Los dann schon im Viertelfinale zueinanderführte. Sehr gut fand ich die Österreicher unter Ralf Rangnick, die nur mit viel Pech schon im Achtelfinale an den Türken scheiterten. Ein echtes Ärgernis waren für mich die Franzosen und noch mehr die Engländer. Hier heiltigte der Zweck (Weiterkommen um jeden Preis) alle Mittel (Defensive trotz brillanter Offensivkräfte). Weit gekommen sind sie, die Engländer sogar ins Finale, aber Spaß hat das nicht gemacht, dem zuzuschauen. Und gerade England hat in den kurzen Sequenzen von Offensive gezeigt, wie sie eine Defensive knacken können. Sie durften nicht: Wie frustrierend muss das für die Fodens, Bellinghams und Kanes gewesen sein.
Mit Spanien gab es den würdigen Europameister, darüber dürfte es keine zwei Meinungen geben. 7 Siege in 7 Spielen, darunter gegen alle europäischen Weltmeister (Italien, Deutschland, Frankreich). Erstmals auch ein Sieg über den Gastgeber einer EM.
Sehr erfreulich war, wie fair es auf den Spielfeldern zuging. Brutalo-Fouls gab es kaum, auch keine Betrugsschwalben.
Die Stars
Es war kein Turnier des einen Superstars, der alle anderen in den Schatten stellte. Torschützenkönig wurde man mit nur 3 Treffern, den Titel teilten sich gleich 6 Spieler. Die mit den größten Namen enttäuschten meist – aus den unterschiedlichsten Gründen. Kylian Mbappé war durch einen herben Nasenbeinbruch sichtlich gehandicapt, an Cristiano Ronaldo nagt der Zahn der Zeit, Kevin de Bruyne war Sinnbild auf der ganzen Linie enttäuschender Belgier, und Phil Foden Opfer der furchtbaren Defensiv-Taktik der Engländer. Bezeichnend, dass mit Rodri ein Defensivspezialist zum Spiueler des Turniers gewählt wurde, das gibt es äußerst selten.
Spaß gemacht haben dagegen einige Talente, die ihre besten Jahre hoffentlich noch vor sich haben. Hier seien vor allem die Spanier Lamine Yamal und Nico Williams genannt sowie jamal Musiala und Florian Wirtz aus Deutschland. Aufgetrumpft hat oft auch Cody Gakpo, der auffälligste Holländer. Ein tolles Turnier spielte auch der italienische Verteidiger Riccardo Calafiori vom FC Bologna, den ich bisher sehr wenig auf dem Schirm hatte, mea culpa.
Die Schiedsrichter und der VAR
Klar, es gab erstaunliche Entscheidungen, aber im Großen und Ganzen haben die Referees einen guten Job gemacht. Ein Ärgernis ist und bleibt das Handspiel und seine Auslegung und wie unterschiedlich die Nachspielzeit gehandhabt wird. Ein echter Gewinn ist, dass nur noch die Kapitäne protestieren dürfen. Das hat insgesamt gut geklappt, auch weil die Schiris die Regel mit Augenmaß handhabten. Toll, dass das jetzt auch in Europa und Deutschland eingeführt wird.
Hand: Es war natürlich aus deutscher Sicht der größte Aufreger, als der Spanier Marc Cucurela mit abgespreitztem Arm dem Torschuss von Jamal Musiala im Weg stand. Natürlich keine Absicht, aber doch ein klares Hindernis. Nicht wirklich zufreidenstellend war danndie (verspätete) Begründung des Schiedsrichter-Gremiums, Cucurela habe doch versucht, die Hand wegzuziehen. Potenziert wurde der Grad der Erregung, weil die Deutschen im Spiel gegen Dänemark zuvor einen geradezu absurden Handelfmeter nach einer viel ungefährlicheren Situation zugesprochen bekamen, als erst ein Sensor im Ball selbst ermittelte, dass es zu einer Berührung kam. Wie man dieses Problem löst, weiß ich nicht. Der Vorschlag Hand ist Hand wäre zwar klar und ohne Ermessen, hätte aber nur zur Folge, dass die Stürmer versuchen, die hand des Gegners zu treffen. Vielleicht hilft ein Umweg/Sonderweg, in dem man bei heuiklen Situationen nicht gleich Elfmeter geben muss, sondern einen Freistoß.
Sensor im Ball, angeblich punktgenaue Kalibrierung per Computer und künstlicher Intelligenz bei Abseits – die Technik hält vermehrt Einzug. Ob das wünschenswert ist, bleibt dahingestellt, denn die Regeln bzw der Sinn dahinter werden auf en Kopf gestellt wie etwa beim Zehennagel-Abseits eines Dänen vor dem vermeintlichen Führungstor gegen Deutschland oder dem Kniescheiben Nicht-Abseits eines Spaniers gegen England. Romelu Lukaku hieß der belgische Unglücksrabe, dem gleich drei Treffer (wahrscheinlich zu Recht) aberkannt wurden, die mit menschlichem Auge nie im Leben als regelwidrig erkannt worden wären.
Und was die Nachspielzeit betrifft: Ich bin seit Längerem ein großer Anhänger der effektiven Spielzeit, wenn die Uhr also angehalten wird bei Unterbrechungen, entweder bei jeder wie im Basketball oder bei einer längeren wie im Handball. Dort funktioniert das meist einwandfrei, und das Ende des Spiels steht fest und ist nicht im Ermessen der Schiedsrichter, wo der eine acht Minuten gibt und der andere 4 und diese wie im Endspiel sogar pünktlich abpfeift, obwohl die Partie mindestens anderthalb Minuten unterbrochen war.
Analyse der Deutschen
Das Team hat sich gut geschlagen, und die Fans haben ihre Nationalmannschaft wieder lieb. Keine Selbstverständlichkeit, denn nach dem WM-Titel hat sich das Team mehr und mehr entfremdet von der Wirklichkeit. Und nach desaströsen Auftritten noch im November befürchteten einige gar Fürchterliches. Als absolute Bereicherung seitdem muss die gelungene Wiedereingliederung von Toni Kroos gelten, der sofort meist glänzender Taktgeber war. Für mich am Erfreulichsten, dass die Nagelsmann-Truppe ihr Heil in der Offensive gesucht hat. Nicht ohne Fehler, und manchen fehlte auch schlicht die Klasse. Aber der Coach hat es geschafft, eine Einheit zu formen, und meistens lag er auch mit seinen Pewrsonalien richtig. Wobei wir nie wissen werden, ob nicht ein anderer Torwart oder der erfahrene Abwehrmann Mats Hummels im Kader noch besser gewesen wären. Auf jeden Fall lässt sich auf der Leistung aufbauen, gerade die partie gegen Spanien zeigte, dass man zumindest in einem Spiel mit der Spitze auf Augenhöhe ist. Nagelsmann hat jetzt das Vertrauen verdient, die WM in den USA mit vielleicht brutalem Klima, langen Reisen und dem 48er-Feld hat allerdings viel zu viele Unwägbarkeiten, um jetzt schon irgendwelche Prognosen abzugeben. Sie sollen schön spielen, dann wäre ich persönlich schon zufrieden. Wie weit es dann geht: Schaun mer mal.
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