Spanien – Frankreich 2:1

Offensive lacht

Leichtes Aufatmen bei mir: Das pragmatische Frankreich ist draußen. Bezwungen vom Turnierfavoriten Spanien.
Es ging fulminant los, fast mit offenem Visier auf beiden Seiten, was mich gerade bei den bisher so zurückhaltenden Franzosen ziemlich verwundert hat. Les Bleus hatten die linke Abwehrseite der Spanier als Schwachstelle ausgemacht, weil dort der 38-jährige Jesus Navas den gesperrten Daniel Carvajal ersetzen musste. Von dort fiel auch der Führungstreffer, als Kylian Mbappé einen hohen Ball kunstvoll unter Kontrolle brachte und eine maßgeschneiderte Flanke auf den Kopf von Ex-Frankfurter Kolo Muani setze, der nahezu ungehindert einnetzte.
Die Spanier nahmen das zur Kenntnis, ohne in Hektik zu verfallen, es war ja auch noch genug Zeit. Zwei Tore drehten die Partie, und was für welche! Erst narrte das 16-jährige Supertalent Lamine Yamal die französische Deckung und zirkelte den Ball fast aus dem Stand punktgenau via Innenpfosten in den Winkel. Für mich fast noch schöner war das 2:1 durch Dani Olmo. Nach einer schnellen Kombination nahme er das Spielgerät virtuos an, versetzte William Saliba mit einer sehenswerten, an Eleganz nicht zu überbietende Finte und schloss beherzt ab. Das nötige Glück half ihn, denn eigentlich hätte Jules Kounde den Schuss noch klären können.
So toll die Partie begann – sie flachte zunehmend ab. Auch als die Franzosen in der 2. Halbzeit endlich die Offensive suchten – es kam erstaunlich wenig Gefährliches zustande. So wurde Spaniens Torwart Unai Simon nicht ein einziges Mal ernsthaft geprüft. Gute Schussmöglichkeiten der Franzosen landeten in den Wolken. Die beste hatte Mbappé von der Strafraumgrenze nach herrlicher Vorarbeit des ansonsten sehr blassen Theo Hernandez, auch der Starstürmer verfehlte das Ziel weit. Apropos Mbappé: Insgesamt ein extrem enttäuschendes Turnier des zurzeit angeblich besten Fußballers der Welt. Ein Attribut, das er allerdings zumindest in diesem Jahr absolut nicht verdient hat, denn zuletzt war er auch bei PSG alles andere als in Top-Form. Natürlich behinderte ihn seine gebrochene Nase, obwohl er ohne Maske spielte, aber die alleine lasse ich als Entschuldigung nicht gelten, denn er ließ sich ja aufstellen.
Am Ende, keinerlei Aufbäumen, kein letztes Risiko gegen die ballfertigen Spanier, die sich wie gegen Dutschland allzusehr auf ihrem Vorsprung ausruhten. Aber im Gegensatz zu den Deutschen, die ja einige Top-Chancen herausspielten und sich den Ausgleich mehr als verdienten, blieben Les Bleus blass, trotz der tollen Namen, die da vorne so rumturnten. Namen, denen sie allerdings keine Ehre machten.Jetzt stellt sich die fast schon philosophische Frage: Hat Trainer Didier Deschamps erkannt, wie wenig mit seiner Offensive zu gewinnen ist und ließ deshalb so ultra-defensiv spielen. Oder hat der Coach mit dieser Defensivtaktik in einem Monat jegliche Spielfreude und Kreativität  ausgetrieben, dass sie diese nicht mehr finden konnten, als sie gebraucht waren.

Das pfeifende Ärgernis

Der Buhmann der Deutschen ist seit Freitag der Spanier Marc Cucurella. Jener Verteidiger, der mit seinem „hundertprozentig strafbarem Handspiel“ (Michael Ballack u.v.a.m.) einen doch so klaren Elfmeter verursachte, den der tomatenblinde Schiedsrichter Michael Taylor nur leider, leider nicht gab. Der Boulevard feuerte kräftig nach („die Hand Zottels“), und „Hand-TäterCucurella bekam den Zorn eines nicht kleinen Teils der deutschen Fans zu hören. Bei jeder seiner Ballberührungen drang ein gellendes Pfeifkonzert durch die Arena. Man stelle sich das vor: Zuschauer zahlen mehrere hundert Euro für ein Fußballspiel, sind dann beleidigt, dass ihr deutsches Team nicht mitspielt und pfeifen sich die Seele aus dem Leib – und das 90 Minuten lang. Ich fand das zum Fremdschämen, und wenn ich einige relativierende Kommentare lese (neben vielen, die das wie ich höchst unsportlich finden) schäme ich mich gleich noch mal fremd. Unter anderem wird Cucurella vorgeworfen, nicht nur dieses verbrecherische Handspiel begangen, sondern sich danach auch noch lustig gemacht zu haben. Ich kann das zumindest in diesem Interview zu keiner Sekunde erkennen.
https://www.youtube.com/watch?v=fE2h2P38PAA

Den besten Spruch dazu hat Patrick Strasser gebracht: „Cucurella auszupfeifen ist gerade so, als würde ich die zerlaufene Butter anschreien, weil der Kühlschrank seinen Dienst aufgegeben hat.“
Ein Letztes: Zeugen vor Ort haben beobachtet, dass auch einige Franzosen sich am Pfeifkonzert beteiligten. Das kann niemanden wirklich verwundern, wer bei den French Open das sich absurd echauffierende Publikum verfolgt. Diese Unfairness sucht ihresgleichen auf den Tenniscourts dieser Welt.

Mann des Tages
Dani Olmo: Erneut eine herausragende Leistung des Leipzigers, der angesichts seiner Glanzvorstellungen vielleicht nicht mehr lange für Red Bull spielt. Ballfertig, viel Spielübersicht und auch noch torgefährlich. Primus inter pares. Lamine Yamal setzt vielleicht noch glitzerndere Glanzlichter, aber er verstrickt sich in seinem jugendlichem Genietum manchmal in nicht aufzulösende Situationen. Das muss er auch unbedingt tun, und in zwei, drei jahren wird er dann ein absoluter Ausnahmeakteur sein. Vorausgesetzt, er darf sich bei Barca unter Trainer Hansi Flick weiter so entwickeln.

Stark trotz der Niederlage
Ousmane Dembele:Er versuchte es immer wieder über die Flügel mit Tempodribblings, aber er fand schlicht zu wenig Unterstützung

Und sonst?
letzte deutsche Revanche? Beim Versuch, nach dem Spiel einen Flitzer zu stoppen rutschte ein deutscher Ordner aus und prallte gegen das Bein von Spaniens Kapitän Alvaro Morata. Nein, es war natürlich keine Absicht, aber trotzdem sichtbar schmerzhaft für Morata, der höchstwahrscheinlich dennoch am Sonntag wieder fit sein dürfte.

Ausblick der Sieger
Wer soll sie stoppen, die Spanier? Vielleicht ihr eigener Stolz, eine gewisse Überheblichkeit. Doch Trainer Luis de la Fuente hat es bisher geschafft, das Team bei der Stange zu halten, warum sollte er seinen Weg verlassen. Zumal die gesperrten Carvajal und LeNormand wieder zurückkehren?

Die Verlierer
Zurück bleibt herbe Enttäuschung: Und zumindest bei mir der Gedanke, dass ich nie das „wahre“ Frankreich gesehen habe, dass mir perlender Champagnerfußball von einem allzu pragmatisch denkenden Didier Deschamps versagt wurde. Nicht wirklich überraschend angesichts der vergangenen Turniere, höchstens das Ausmaß, wie konsequent die Franzosen ihren „uns-völlig-wurscht-dass unser-Fußball-unnattraktiv ist, schaut doch was anderes“ Stiefel heruntergespielt haben. Ich hab ja auf die Fubßall-Verweigerer getippt und bin froh, danebengelegen zu haben.