Torwart – der Höllenjob

Das war es mit Wembley reloaded. Nachdem der BVB auch das Rückspiel gegen Paris St Germain mit 1:0 gewann und ins Londoner Champions-League-Finale einzog, verpasste Bayern München das Weiterkommen bei Real Madrid nur knapp. Nur ein paar Minuten fehlten zum Coup  und der Wiederholung des rein deutschen Finales, doch zwei späte Tore für Real, die ihre 267. remontada (Aufholjagd) in ihrem lauten und gerade modernisierten Fußballtempel feierten.

Es war das erwartete Spiel auf Augenhöhe, allerdings doch mit durchgehenden Vorteilen bei Real, die deutlich mehr Aktivität in Richtung Bayern-Kasten offenbarten als umgekehrt. Doch dieses mal agierte die Münchner Abwehr nahezu fehlerfrei, und was aufs Tor kam, das wurde zur Beute des famosen Manuel Neuer, von dem noch die Rede sein soll …

In der 2. Halbzeit erhöhten die Madrilenen den Druck, doch zwei fabulöse Neuer-Paraden, verhinderten die Führung. Die Münchner verlegten sich aufs Konter, und einer von ihnen führte zum Erfolg. Harry Kane schlug einen Toni-Kroos-Gedächtnis-Pass über 40 Meter direkt in den Lauf von Anthony Davies. Der. Kanadier, früh für Serge Gnabry ins Spiel gekommen, nahm Fahrt auf, wackelte den deutschen Nationalverteidiger Toni Rüidger aus und bezwang Sergej Lunin mit einem satten Schuss.

Doch Real Madrid ist in Dutzenden Schlachten Rückschläge gewohnt. Doch nachdem der vermeintlich schnelle Ausgleich wegen eines klaren Foulspiels an Kimmich zurückgenommen wurde, schienen die Felle davonzuschwimmen. Denn wer sollte denn Manuel Neuer bezwingen? Die Antwort folgte in der 89. Minute: praktisch er selbst: Nachdem er völlig unnötig mit einem weiten Abwurf nur einen Real-Spieler fand, kam Reals Vini jr zum Schuss. Völlig harmlos aus weiter Entfernung, doch Neuer schätzte den Ball falsch ein, dieser sprang von seiner Brust vor die Füße des schnell reagierenden Joselu, der keine Mühe mehr hatte. Das grausame Torwart-Los, es hatte wieder zugeschlagen. Die grandiose Leistung war kaum mehr etwas wert. Ich mag ja Neuer nicht besonders, das Hofieren zu ihm geht mir seit Langem auf die Nerven, insgesamt finde ich, dass er dietolle Klasse von einst schon länger nicht mehr hat. Aber jetzt spielte er seine beste Partie seit Jahren und dann dieser lächerliche Fauxpas, der ihm in dieser Form bei 10 000 Bällen nicht wieder widerfahren wird. Ein kleiner Maulwurfshügel sei Schuld gewesen, analysierte er mit einem Anflug von Galgenhumor. Tja: Seine Monsterleistung geriet ins Hintertreffen. Schnell kamen (nicht nur) bei mir Erinnerungen an Oliver Kahn bei der WM 2002 hoch. Allein dem damaligen Nationaltorwart war es zu verdanken, dass eine äußerst limitiete deutsche Mannschaft ins WM-Finale einzog. Dort zeigte sie die beste Turnierleistung, bis ein ähnlich läppischer Kahn-Abpraller die brasilianische Führung ermöglichte. Die alte Fußball-Weisheit hat immer noch Gültigkeit: Ein Stürmer kann Chance um Chance jämmerlich verhühnern, wenn er zum Siegtor angeschossen wird, ist er der Held, ein Torwart kann Wunderdinge zaubern, macht er einen entscheidenden Fehler, ist er der Depp. Man schaue sich die Notengebung der Zeitungen an, egal ob Boulevard oder Fachblatt.

Bernabeu explodierte, und in diesem Tohuwabohu setzte Joselu noch den zweiten Streich und verwertete eine scharfe Hereingabe von Rüdiger. Ausgerechnet Joselu, der bei Real begann, dann eine jahrelange Odyssee bei verschiedenen europäischen Clubs (u. a. Hoffenheim, Bremen, Frankfurt) unternahm, ehe er dieses Jahr zu Real zurückkehrte, aber auch nur, weil zuvor Harry Kane nicht nach Madrid, sondern nach München wechselte.

Die Entscheidung? Mochte man glauben, weil Bayern-trainer Thomas Tuchel alle Offensiv-Kräfte (Kane, Sané, Musiala) entkräftet und angeschlagen vom Feld nehmen musste (so seine Version. Doch dann die Szene, die jetzt schon allen Stoff zur Legendenbildung innehat. Ein weiter Schlag der Münchner, Mazraoui gewinnt ein Kopfball-Duell, der Ball gelangt über Umwege zu Eric Dier, der den Ball per Direktschuss ins Tor beförderte. Soweit klingt das schon ganz gut. Der große Haken war nur, dass der Schiedsrichter-Assistent Mazraoui im Abseits sah, seine Fahne hob und Schiri  Szyman Marciniak aus Polen die Szene hörbar lange vor dem Dier-Schuss abpfiff. Vorschnell, wie sich herausstellte, denn zumindest die ersten Fernsehbilder legten eher den Schuss nahe, dass Mazraoui nicht im abseits stand. Und gerade in solch knappen Situationen ist es strikte Anweisung ans Schiedsrichter-Gespann, die Szene erst mal weiter laufenzulassen, um gegebenenfalls die Fernsehbilder per Videoreview zu konsultieren. Dieses war jetzt eben nicht mehr möglich, weil mit dem Schiri-Pfiff das Spiel formell unterbrochen war.

Die Bayern tobten und toben wahrscheinlich immer noch. Michael Ballack am DAZN-Mikrofon überschlug sich förmlich vor Empörung über diesen unmöglichen Fehler. Es war fast lustig zu sehen, wie er sich mehr und mehr in Rage redete, die Sätze lkaum mehr zusammenbekam und mehr und mehr auch ins Sächsische verfiel. Der Chemnitzer dachte mit Grausen an ein Champions-League-Spiel 2009  mit Chelsea, als der Schiri im Rückspiel gegen den FC Barcelona einfach trotz mehrerer reichlich eindeutiger Szenen schlichtweg keinen Elfer geben wollte.

https://www.kicker.de/oevreboes-skandalspiel_ballacks-boesen-sprint-uebersah-er-auch-717684/artikel

Die Spieler tobten (nicht ganz so schlimm) Max Eberl, gerade gut zwei Monate als Sportvorstand verstieg sich gar in die Behauptung, alle hätten das deutsche Finale dringend gewünscht, nur die Polnischen (sid!) Schiedsrichter nicht. und die „Bild“ verstieg sich gar zum „schlimmsten Torraub“ seit Wembley 66, gnädig ein paar ähnliche Fälle (Lampard 2010 gegen Neuer) ignorierend.

Ich kann den Ärger sehr gut verstehen, aber:

  1. Wie gesagt: Die Szene war abgepfiffen, und einige Real-Spieler nicht mehr bei der Sache. Vor allem ihr Torwart Lunin ließ den Ball von Dier teilnahmslos relativ nah an sich vorbei ins Tor rollen, der weder besonders fest noch platziert geschossen war. Nach Lage der Dinge hätten vollkonzentrierte Madrilenen und insbesondere Lunin den Treffer mit Leichtigkeit verhindert.
  2. Und sogar wenn dieses Tor gefallen wäre. Wenn wir schon im Spekulatius sind, dann bitte auch über die dann erforderliche Verlängerung, lange 30 Minuten gegen völlig erschöpfte Münchner, die von der Bank nichts mehr hätten nachlegen können. Klar, den Neuer hätte real erst mal bezwingen müssen

Die Münchner täten also sehr gut daran, sich jetzt allein auf diese Szene zu kaprizieren. Natürlich war das Verhalten vom Schiri (auf Eberls Herumreiten aufs „Polnische“ möchte ich lieber nicht eingehen) ein furchtbarer Fehler,  zumal er bei Joselus zweitem Tor bei einer ähnlich knappen Abseitsfrage nicht abpfiff, so dass eine Kontrolle möglich war. Aber insgesamt waren die Münchner den Madrilenen doch ziemlich unterlegen, und da gilt es jetzt, den Hebel anzusetzen.

Und Tuchel muss sich bei allem Lob über die Taktik gegen Real schon fragen lassen, warum all seine Offensiv-Kräfte aus dem letzten Loch pfiffen. Klar, Veletzungen bei Sané und Musiala, aber musste ein Harry Kane in letztlich belanglosen Bundesliga-Spielen wirklich praktisch immer von der ersten bis zur letzten Minute spielen?

Die Analyse wird folgen, die der eigenen Fehler auch (nicht der von Neuer, der wird nie mehr passieren). Jetzt muss aber schleunigst ein neuer Trainer gefunden werden, denn erst danach erscheint mir die Verpflichtung neuer Spieler sinnvoll mal abgesehen davon, dass diese schon gerne wüssten, unter wem sie trainieren und spielen müssen und welche Idee des Fußballs der Coach hat. Spannende Zeiten, versprechen große Unterhaltung (für die unbeteiligten Betrachter zumindest). Und Borussia Dortmund hat die zweifelhafte Ehre, Real am Samstag in 3 Wochen herauszufordern in Wembley.

Deutsches Wembley reloaded?

Lange war es eher Spielerei, vielleicht sogar Spinnerei. Aber jetzt ist ein deutsch-deutsches Champions-League-Finale nicht mehr unwahrscheinlich. Wie 2013. Wieder in Wembley. Und wieder Bayern gegen Dortmund. Hier ein kleiner Überblick über die Viertelfinals und danach ein Ausblick auf die Halbfinals

Bayern – Arsenal 1:0 (Hinspiel 2:2)
Es war schon ziemlich beeindruckend, wie abgeklärt die Münchner die Hürde Arsenal genommen haben. Ohne unnötiges Risiko, dafür mit sehr starken Außen rechts wie links. Der für die Londoner offenbar ziemlich überraschende Kniff von Trainer Thomas Tuchel mit Mazraoui und Guerreiro auf der linken Seite ist voll aufgegangen. Und rechts zeigte Joshua Kimmich vielleicht seine beste Saisonleistung und sein brachialer Kopfball brachte dann auch die Entscheidung.
Die Londoner enttäuschten mich auf der ganzen Linie, als wollten sie unbedingt ihren Ruf bestätigen, dass sie auf dem Festland nur halb so gut spielen. Sie hatten letztlich keine echte Torchance, ein Kai Havertz hing völlig in der Luft. Und es gab kein Aufbäumen. Es war insgesamt bei nasskaltem Wetter kein Fußballfest, aber ein hochverdienter Sieg der Münchner.

Manchester City – Real Madrid i. E. 2:4 (3:3)
Es war kein Fußballspektakel wie im Hinspiel, aber jederzeit hochklassig mit insgesamt großartigen Verteidigern. Da passt es irgendwie dazu, dass ein verteidiger, der deutsche Nationalspieler Antonio Rüdiger, den entscheidenden Elfmeter für Real verwandelte. Die Madrilenen beschränkten sich darauf, ihr Tor sauber zu halten, erst recht nach ihrer ziemlich überraschenden Führung. Das gelang insgesamt vorzüglich; ganz ausschalten kann man eine Surm-Maschine wie City natürlich nicht. 34:8 lautete letztlich das Torschussverhältnis, aber Reals ukrainischer Torwart Luninbrauchte keine wirklichen Heldentaten, um weitere Gegentreffer zu verhindern.
Der zuletzt so kritisierte Erling Haaland spielte nur etwas besser als im HInspiel, er wurde vor der Verlängerung gegen Alvarez ausgewechselt. Im Elferschießen fehlte also ein sicherer Schütze, aber als solcher galt Bernardo Silva auch, bevor er in jämmerlicher Art und Weise scheiterte. Also darf mal wieder Real jubeln.

Dorussia Dortmund – Atlético Madrid 4:2 (1:2)
Mit einem spektakulären 4:2 haben sich die Borussen für die Runde der besten 4 qualifiziert, wer hätte das vor der Saison gernsthaft geglaubt auch angesichts der Todesgruppe“ mit PSG, AC Mailand und Newcastle United. Die Partie war ein Auf und Ab. 2:0-Führung der Dortmunder durch Brand und Maatsen, schneller Ausgleic h von Atlético nach der Pause und ein fulminanter Endspurt der Borussen, der durch Tore von Nilas Füllkrug per unnachahmlichen Kopfball und dem wieder überragenden Marcel Sabitzer belohnt wurde. Am Ende war dannn auch die wirklich tolle Stimmung zu hören, die ich vorher bei Dauergesängen arg vermisst habe

FC Barcelona – PSG 1:4 (2:1)
Die entscheidende Szene geschah bereits nach 28 Minuten, als Barcas Verteidiger Araujo nach Notbremse die Rote Karte sah. Bis dahin hatte der FCB die Partie beherrscht und lag mit 1:0 in Führung. Die Pariser sahen ihre Chance und drehten die Partie. Demélé traf noch vor der Pause zum Ausgleich, nach dem Wechsel trafen Vitinha und zweimal Mbappé gegen ein sich auflösendes Barca. Es bleibt müßig zu spekulieren, was ohne den Platzverweis geschehen wäre, und es hat ja auch schon Vereine gegeben, die mit einer Unterzahl umgehen konnten. Für Trainer Xavi wirds ein trauriger Abschied nach der Saison wohl ohne Titel. Am Samstag steht der Clasico gegen Real an, die letzte Chance im Meisterschaftskampf

Ausblick aufs Halbfinale
Die Partien und Termine stehen bereits fest.
30.4./08.5.: Bayern – Real
01.5./07.5.: BVB – PSG

Ich kann bei beiden Partien keinen echten Favoritn erkennen. Vielleicht ist es der kleine entscheidende Nachteil für Bayern und Dortmund, dass sie zu Hause das erste Spiel haben. Gerade Real kann in einem Rückspiel im Bernabeu schon ein nettes Feuerwerk entfachen. Und der BVB  hat sicher davon profitiert, die entscheidenden Minuten im Dortmunder Hexenkessel und nicht in dem von Atlético bestreiten zu dürfen. Andererseits kann man auswärts auch ein eher ungünstiges Ergebnis drehen wie Real in Manchester und vor allem PSG in Barcelona. Wobei hier anzumerken ist, dass Barca sich im Olympiastadion (das Nou Camp wird umgebaut) nicht wirklich heimisch fühlt.

Es kann also alles passieren: Jedes Team kann den Henkelpott gewinnen, aber auch im Halbfinale ausscheiden. Ein rein deutsches Finale ist genauso möglich wie eines ohne deutsche Beteiligung.

Eines aber zeichnet sich auf jeden Fall ab durch das englische Doppel-Aus. Deutschland wird ziemlich wahrscheinlich den zweiten Platz der Nationenwertung hinter Italien belegen, weshalb auch der 5. Platz in der Bundesliga für die Champions League startbechtigt wäre. Dortmund kann die Bundesliga also etwas entspannter angehen. Übrigens: Gewinnt der BVB die CL und wird Fünfter, würde dann auch der 6. Platz der Bundesliga reichen. ME dem Guten einiges zu viel, so sehr ich den Geldsegen dem betreffenden Verein gönnen würde.

Und noch ein Letztes: Durch das Aus von Arsenal steht jetzt schon fest, das RB Salzburg nächstes Jahr an der hochdotierten Club-WM teilnehmen darf.