Als ob die Welt da draußen mit dem Irrsinn im In- und Ausland, den Kriegen und Terroranschlägen nicht schlimm genug wäre, zerfetzte sich auch die vermeintlich so heile Sportwelt, die natürlich nie sehr heile war, in die Bestandteile. Nein, kein Ergebnis regte mich über die Maßen auf, diese Zeiten sind gottlob vorbei: Sondern die Einigung zwschen Jannik Sinner und dem Sportgerichtshof in der Dopingcausa des italienischen Tennisprofis. Das Strafmaß steht jetzt fest: Drei Monate muss Sinner pausieren, ab jetzt bis zum 4. Mai.

 

Ablasshandel der übelsten Form

 

Was ist passiert (in aller Kürze): Im März und April 2024 wurde Jannik Sinner positiv auf das verbotene Mittel Clostebo, getestet. Davon erfuhr die überraschte Öffentlichkeit im Juli, also gut 3 Monate danach. Sinner hatte als Begründung angeführt, sein Masseur habe ihn mit einer Salbe kontaminiert, die dieser wegen einer Schnittverletzung genommen hatte. Eine Salbe, auf der in großen Buchstaben „Doping“ steht und besagter Masseur massierte den wertvollen Sinner-Körper ohne Pflaster.
Das glaubte offenbar der Tennis-Weltveband und beließ es bei einer ganz kurzen Sperre (4 Tage, die jetzt tatsächlich angerechnet werden!)  plus Geldstrafe und Verlust der Wetranglistenpunkte von Indian Wells, wo der erste positive Test erfolgte). Dagegen legte Weltdoping-Agentur Wada Einspruch beim Sportgerichtshof ein, wo der Fall seit Herbst bis jetzt lag. Unterdessen durfte Sinner sehr erfolgreich Tennis spielen, gewann unter anderem die Grand Slams US Open und Australian Open sowie das ATP Finals und den Daviscup.
Gestern die mit Spannung erwartete Entscheidung, und die besagt: Wada und Sinner haben einen Vergleich geschlossen. Demnach akzeptiert der Italiener eine dreimonatige Sperre, die am 4. Mai abläuft. In dieser Zeit darf er keine Turniere bestreiten und auch nicht in einem Verbandstraining teilnehmen. Im Gegenzug verzichtet die Wada auf weiteres Vorgehen oder gar weitere Strafen.

Ich bin darob gleichermaßen entsetzt wie empört, und dabei habe bzw hatte ich absolut nichts gegen Sinner, wie ich schon oft betonte. Denn das Mindeststrafmaß in vergleichbaren Fällen waren mindestens ein, wenn nicht sogar zwei Jahre. Auch wenn der Sportler keine vorsätzliche Einnahme nachgewiesen werden konnte. Der Grundsatz lautete: Auch das engge Umfeld muss sich der Sportler voll und ganz zurechnen lassen und eben die „Sauberkeit“ seines Körpers. Um eben die findigen Erklärungen, von vornherein abzuschmettern, die erwischte Sportler so haben für ihren dopingverseuchten Körper. Und wer könnte enger bei Sinner sein als sein Masseur.
Jetzt habe ich das Gefühl, dass sich Sinner in einem Ablasshandel der übelsten Form hat freikaufen können. Zumal auch der Zeitraum der Sperre für ihn überaus günstig liegt, die am 4. Mai endet. Er vepasst also nur das Masters-Doppel Indian Wells/Miami und den Anfang der ohnehin von ihm nicht so geliebten Sandplatzsaison. Bei seinem Heimspiel in Rom Mitte Mai darf er ebenso wieder antreten wie in Paris, er verpasst also nicht ein einziges Grand-Slam-Turnier, und nur die sind für Spitzenspieler wirklich von Bedeutung.

Ich hab die Korrespondenz in dieser Causa förmlich vor Augen: Achtung, das ist Fiktion!

WADA: Lieber Jannik. Saubblöd gelaufen, wir müssen Dich (man duzt sich im Sport, d. A.) bestrafen, um uns nicht komplett zum Vollhonk zu machen. Kannst Du uns entgegenkommen?
JS: Porca miseria: Eine Geldstrafe, aber mit großem Bedauern, ich könnte eine 2 Millionen Dollar zahlen und vielleicht noch eine Stiftung für Behinderte unterstützen, das macht sich immer gut. (Anmerkung d. A.: Sinner hat vergangenes Jahr mehr als 10 Millionen Dollar allein an Preisgeld verdient)
WADA: Wir fürchten, eine Sperre muss schon sein. Vielleicht 4 Monate, dann müsstest Du nur auf Paris verzichten.
JS: Kommt nicht in Frage. Aber lass mal überlegen, wie es am besten passt. Wie wäre es moi 3 Monaten, ab Februar. Dann könnte ich in Rom wieder spielen, das würde dem Turnier dort sicher sehr helfen. Schade zwar um Indian Wells und Miami, aber das ist eh nur in diesem blöden Amerika. Und wenn ich richtig rechne, bleibe ich sogar die Nummer 1 der Weltrangliste.
WADA: Gute Idee. Wir können sagen, dass wir mit der ganzen Härte sogar den besten Spieler der Welt sperren, der auf die von ihm heißgeliebten Turniere in Amerika verzichten muss und um seinen Platz in der Weltrangliste bangen muss.
JS: Und ich kann sagen, unter großem Wehklagen der WADA entgegengekommen zu sein. Ich bin mir zwar keinerlei Schuld bewusst, aber ich weiß, dass ich auch für mein Umfeld verantwortlich ist. Lasst uns entsprechende Erklärungen abstimmen.

Soweit, so schlecht. Für mich ist diese lächerliche Drei-Monats-Sperre sogar noch schlimmer als ein kompletter Freispruch. Wenn die WADA und der CAS sagen: Wir glauben Signore Sinner, dass er nichts gewusst hat, und er ist nicht für sein Umfeld verantwortlich, dann könnte ich damit leben und alle Sportler hätten einen Präzendenzfall. So ist der Wada dem CAS das Kunststück gelungen, ein bisschen schwanger zu werden, und alle Welt weiß: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen, wenn sie nur tricky genug verhandeln mit den teuersten Anwälten, die nur sie sich leisten können. Ähnlich wie das im übrigen schon Ende letzten Jahres im Fall Iga Swiatek lief, die ebenfalls positiv getestet wurde und mit einer (noch) lächerliche(re)n Sperre davonkam.
Jetzt beginnt der Kampf um die Deutungshoheit. Hier das Relativieren, das „ist-doch-nicht-so-schlimm“, dort die Empörung, die hoffentlich nicht nur mich, sondern auch die Kistners und Seppelts dieser Welt packt, für die jeder Radsporter per se ob seiner Leistungen schon suspekt st. Apropos Leistungssteigerung: Dern unglaublichenLeistungssprung, den Sinner gerade letztes Jahr gemacht hat, seine deutlich verbesserten Fitness- und Kraftwerte möchte ich noch anmerken

„Der Fall Sinner stinkt zum Himmel“, schrieb ich im Juli, als die Causa bekannt wurde.
https://blickueberdenteich.de/der-fall-jannik-sinner-stinkt-zum-himmel/Jetzt weiß ich: Zumindest der Tennissport ist mit einer extrem stinkenden Kloake überzogen, die so schnell nicht wegzuwischen ist. Mir ist die Freude an dieser wunderbaren Sportart sehr vergällt.