„It aint over, till the fat lady sings“ – das ist die Durchhalteparole aller Sportler: Sprich, erst wenn wirklich die Schlusssirene ertönt, ist der Wettkampf wirklich verloren. Zwei atemberaubende Comebacks am Mittwoch zeigten das mal wieder auf unglaublichste Weise.

Handball-Wunder im Fußball-Stadion

Ich mag das Wort „historisch“ nicht, das wir Sportjournalisten inflationär gebrauchen. Doch was sich im Handball-Viertelfinale zwischen Gastgeber Frankreich und Deutschland zutrug, habe zumindest ich nicht erlebt und offenbar auch Menschen nicht, die diesen Sport sehr viel intensiver verfolgen. Was also war geschehen? Es laufen die letzten 20 Sekunden einer bis dato auch vom Publikum aufgeheizten Partie. Frankreich führt mit 2 Toren Vosprung, die Deutschen haben den Ball, aber was kann da schon nocn passieren. Es passierte: der Anschlusstreffer, na und, sind ja nur noch bei eigenem Ballbesitz Sekunden zu spielen. Aber die dicke Frau war offenbar noch nicht dran. Frankreichs Trainer Guillaume Gille, einst selbst ein brillanter Handballer, nahm mit 6 Sekunden Spielzeit auf der Uhr eine Auszeit. Der Himmel weiß, warum er die Partie bei eigenem Ballbesitz nicht einfach auslaufen ließ. Naja, seine Worte hinterließen beim Team offenbar nachhaltigen Eindruck: Sie passten den Ball wie angeordnet (ein Spässle vom Opa) sofort zum Gegner. Ausgerechnet dem bisher so starken Dika Mem unterlief das Missgeschick, als er versuchte, ausgerechnet über den längsten deutschen Spieler hinweg einen Kollegen zu finden. Julian Köster fing jedenfalls den Ball ab, passte geistesgegenwärtig nach vorn zum völlig freien Renars Unscins, der Sekundenbruchteile vor Schluss mit seinem Schuss die Torlinie überwand – 29:29. Verlängerung statt Siegestaumel. Und in der setzten sich die Deutschen nicht viel weniger dramatisch mit 35:34 durch.

Das ohnehin schon prallgefüllte unglaubliche-deutsche-Handballspiele-Buch ist um ein dramatisches Kapitel reicher. Was für eine Atmosphäre im Fußballstadion von Lille. Die Deutschen verschliefen den Start, lagen mit bis zu fünf Toren zurück, ehe sie Mitte der zweiten Halbzeit die Aufholjagd starteten und ausglchen. Danach versäumten sie es allerdings, den angeschlagenen Gegnern den Todesstoß (mir fällt grade kein anderes Wort ein) zu versetzen, auch weil sie gleich 3 Siebenmeter vergaben. In der Schlussphase schwangen sich dann zwei Spieler der Deutschen zu den Sieggaranten auf, die sonst nicht ganz in der ersten Reihe stehen. Zum einen Torwart David Späth, relativ früh (entschuldigung!) für den glücklosen Andi Wolff ins Spiel gekommen, hielt einige schwere Bälle. Und Mitte der zweiten Halbzeit übernahm Uscins, der Jüngste, Verantwortung, traf wie er wollte und verwandelte auch kaltschnäuzig wie ein ganz Alter drei Siebenmeter. Am Ende standen für ihn 14 Tore zu Buche, der letztlich auch den entscheidenden Treffer in der Verlängerung erzielte, bevor Späth noch einen letzten späthen (muss sein) Verzweiflungswurf der Franzosen abwehrte.

Nachdem sich nach dem aufwühlenden Spiel alle ein wenig beruhigt hatte, nahm einer der Größten des Handballs aller Zeiten seinen Abschied: Nikola Karabatic, 40 Jahre alt und mittlerweile ziemlich ergraut, sagt au revoir vom internationalen Sport. Er prägte die vergangenen 2 Jahrzehnte, führte die Franzosen zu drei olympischen Goldmedaillen und 4 WM-Titeln. Dreimal gewann er mit seinen Clubs die Champions League, u. a. 2007 mit dem THW Kiel. Das Spalier, das ihm Deutsche und Franzosen erwiesen, hat er sich redlich verdient – und noch viel mehr an Ehrerbietung.

Schweden-Wunder gegen das Wunderkind

Nein, ganz so dramatisch und unglaublich war die Wende der schwedischen Tischtennisspieler gegen Japan im Mannschafts-Halbfinale nicht, aber zum Nägelkauen reichte es allemal. 2:0 führten die Japaner nach dem Doppel und dem Spitzenspiel zwischen Harimoto und Silbermedaillengewinner Moregard. Die Schweden glichen aus, doch im entscheidnenden Spiel traf Harimoto, das Wundekind, das vor acht jahren damals mit 13 Jahren, in die Weltelite aufstieg auf Anton Källberg, einen durchaus begabten, aber wahrlich nicht mit Erfolgen überhäuften Schweden, der am 17.August 27 Jahre alt ist. Die ersten beiden Sätze gewann Harimoto klar mit 11:5, sogar beim so ernsten japanischen Trainer entspannten sich die Gesichtszüge – vielleicht auch eine Fehlwahrnehmung meinerseits. Harimoto brüllte wie gehabt bei jedem gewonnen Punkt wie in einem schlechten Kung-Fu-Film. Das ging extrem auf meine Nerven, doch ein Tischtennis-Experte beschied mir in einem Kommentar, das sei vor ein paar Jahren noch viel schlimmer gewesen. Naja, der Japaner verlor (wg seiner Schreierei?) den Faden. Källberg hingegen traf plötzlich auch die unmöglichsten Bälle und gewann die nächsten beiden Sätze jeweils 11:7. Also entscheidender fünfter Satz im fünften entscheidenden Spiel. Der verlief völlig ausgeglichen bis zum 9:9, bevor Harimoto die Nerven wegschmiss und mit zwei verhältnismäßig leichten Fehlern die Partie verlor. Fast ungläubiger Jubel bei den Schweden ob des Finaleinzugs und der sicheren Medaille, tiefe Trauer und Entsetzen bei den Japanern, und Harimoto weinte bittere Tränen. Erst 21 jahre ist er alt, diese Niederlage wird ihm nachhängen.

Ein Gold-Jamaikaner – mit dem Diskus

Zu Sprint-Gold reichte es um Tausendstel nicht, und die Sprinterinnen blieben nach fast 4 Jahrzehnten sogar ohne Medaille. Gut, dass Jamaika auch noch die Diskuswerfer hat. Gleich drei kamen ins Finale, und Roje Stona gelang der goldene Wurf. Auf genau 70 Meter schleuderte er die 2-Kilo-Scheibe und lag damit ganze drei Zentimeter vor Weltrekordler Mykolas Alekna, der damit den Olympischen Rekord seines Vaters Virgilius verbesserte, sich aber letztlich mit Silber begnügen musste. Dritter in einem hochklssigen Wettbwerb wurde der Australier Matthew Danny. Dem Österreicher Lukas Weisshaidinger blieb mit 67,54 nur Platz 5, der Deutsche Clemens Prüfer wurde Sechster.
Auch die anderen LA-Finals waren bemerkenswert: Über 400 Meter schaffte der Amerikaner Quincy Watts in 43,40 Sekunden die viertbeste je gelaufene Zeit. Der Brite Matthew Hudson-Smith wurde mit Europarekord (43,44) Zweiter vor Muzala Samukonga (43,74/NR). Gleich fünf Läaufer blieben unter 44 Sekunden. Im Stabhochsprung überwand die Australierin Nina Kennedy als Einzige 5,95 Meter. Über 300 Meter Hindernis siegte nach gewaltigem Schlussspurt der Marokkaner Soufina Bakkali. Weltrekordler Lamecha Girma aus Äthiopien kam in der Schlussrunde schwer zu Sturz und konnte das Rennen nicht beenden. Noch auf der Bahn wurde er medizinisch versorgt. Offenbar war er kurze Zeit sogar bewusstlos.

Und sonst?

  • Für die deutschen Basketball-Frauen ist das Olympiamärchen beendet. Im Viertelfinale verloren sie gegen Frankreich mit 71:84. Es war mehr drin, aber sie wachten zu spät auf, und Wunder gegen Frankreich gibt es halt nicht immer.
  • Kletterte die Polin Alexandra Miroslav so schnell eine Wand hoch wie keine andere und holte endlich das erste Gold für Polen.
  • Noch ein Erfolgserlebnis für die darbende Sportnation Polen: Die Volleyballer gewannen ein hochdramatisches Halbfinale gegen die USA mit 3:2 und treffen im Endspiel am Freitag auf Gastgeber Frankreich, das sich klar gegen Italien durchsetzte.
  • der deutsche Box-Schwergewichtler Nelvin Raman Tiafack verlor sein Halbfinale gegen den Usbeken Bakhodir Jakolov nach Punkten, hat aber Bronze sicher, weil Platz 3 nicht ausgeboxt wird (Es gibt wie im Judo 2 dritte Plätze).

Zu guter Letzt:

Gestern gaben die Veranstalter die Pferde bekannt, die den Modernen Fünfkämpfern zugelost werden. Lesebefehl: https://olympics.com/OG2024/pdf/OG2024/MPN/OG2024_MPN_C45A_MPN——————————-.pdf
Utopie Rossignol würde mir gefallen, galt mal als Skimarke schlechthin. Jump Lucky klingt auf dem ersten Blick ganz nett, aber nur aufs Glück würde ich mich als Reitersmann, der ich nicht bin, auf einem Gaul ungern verlassen, auch wenn der Rücken der Pferde das Glück dieser Erde verheißt.