Achtelfinale, Tag 4

Das Beste kam zum Schluss. Nämlich Österreichs Anrennen in einem an Leidenschaft nicht zu überbietendem Spiel. Letztlich vergebens, und so kommt es im Viertelfinale in Berlin zum Treffen der Holländer gegen die Türkei und dem hoffentlich friedlichen Clash der größten Fangruppen.

Rumänien – Niederlande 0:3
Nach der recht mühsamen Anfangsviertelstunde ein sehr dominierender und überzeugender Auftritt von Oranje. In dieser Form könnte es tatsächlich weit gehen für die Holländer. Die Rumänen hatten der Spielkunst recht wenig entgegenzusetzen. Das 3:0 war auch in der Höhe verdient, es wurden ja auch noch Chancen vergeben.

Mann des Spiels
Cody Gakpo: Der Angreifer des FC Livepool war nie zu stoppen. Das 1:0 erzielte er selbst, wobei Rumäniens Schlussmann Florin Nita nicht glücklich aussah, um es vorsichtig auszudrücken. Das die Partie entscheidende 2:0 legte er mit einem brillanten Solo an der Grundlinie perfekt auf, so dass der eingewechslete Donyell Malen nur noch einzuschieben brauchte. Der Dortmunder besorgte dann auch das 3:0 – es war der erste Doppelpack eines Spielers in diesem Turnier; im bereits 43. Spiel.

Stark trotz der Niederlage
Keiner fiel besonders auf, keiner fiel besonders ab. Das ganze Team wirkte überfordert.

Ausblick des Siegers
Gruppendritter und doch im Viertelfinale – das gibt der EM-Modus her. Und dort muss noch lange nicht Schluss sein. Gerade offensiv haben die Holländer doch große Qualität, und Ronald Koeman lässt Gott sei Dank auch offensiv spielen.Oranje ist nach wie vor mein Vavorit in diesem Turnier-Ast, also Finalkandidat.

Und die Verlierer?
Gruppensieger und doch ausgeschieden- das gibt der EM-Modus her. Gegen Holland ist das keine Schande, das Team hat einfach seine Grenzen, und die hat Rumänien noch nicht einmal erreicht. Drei Mannschaften aus der Gruppe E standen im Achtelfinale, alle drei sind raus. Und niemand wird ihnen wirklich hinterherweinen

Österreich – Türkei 1:2

Eine letzte österreichische Flanke flog in den türkischen Strafraum. Sie erreichte zielgenau Christian Baumgartner, der lehrbuchmäßig den Kopfball entgegen die Laufrichtung von Schlussmann Mert Günok ansetzte. Das musste doch der längst fällige Ausgleich sein
https://www.youtube.com/watch?v=OnVL_StP9YI
. (05:00)
Die Live-Reporter hatten schon den Torschrei auf den Lippen, doch zu früh. Mit einer Glanzparade, der besten des Turniers, verhinderte Günok den Einschlag, und wenig später standen die Türken als Sieger fest. Sie hatten nicht mehr die Kraft zum Jubeln und sanken ermattet in nasse Gras – wie die Österreicher, die allerdings eher aus bleierner Enttäuschung.
Dieses rassige Spiel entschädigte doch sehr für manch graupeligePartien im Achtelfinale, es hatte alles, was zum Fußball dazugehört. Einen krachenden Beginn mit dem Führungstor der Türken nach nur 57 Sekunden. Tolle Chancen der Österreicher danach fast im Minutentakt. Nach 20 Minuten Abebben des Ansturms. Nach der Pause hatte Marco Arnautovic vielleicht die Beste Möglichkeit, er scheiterte frei am glänzend reagierenden Günok. die vermeintliche Entscheidung, als erneut Meih Demiral erneut nach einer Ecke traf. Hoffnungsschimmer nach dem Anschlusstreffer durch Michael Gregoritsch, auch nach einer Ecke.
In der 65. Minute war das, also grundsätzlich genug Zeit. Es folgte das besagte Anrennen, und alles passte, was einen Krimi ausmacht. Der ströende Regen, ein glänzender Schiedsrichter, der das Spiel, wo es nur ging, laufen ließ (und manchmal auch, wenn es eigentlich nicht ging …), kein Getue auf dem Platz, erstaunlich wenig Zeitspiel der Türken. Ja, sie ließen sich wegen Krämpfen behandeln, aber das war echtes Leiden, tatsächlicher Kräfteverlust. Und niemand im Stadion, an den Fernsehgeräten kannte das Ende – bis zum Showdown, dem Duell Schütze gegen Torwart, das eben so ausging, wie es dem Fußball-Gott gefiel, denn irgendeine Instanz muss für dieses Drama doch verantwortlich zeichnen.

Mann des Spiels
Mert Günok: Vor der Partie habe ich venommen, dass er zu Hause nicht unumstritten sein soll, das Trainer Vicenzo Montella doch bitte jemand anderen aufstellen sollte, dass er ein Schwachpunkt des Teams sei. Dann legt er eine praktisch fehlerlose Partie hin mit dieser Parade, die sich jetzt schon unauslöschlich ins Hirn zumindest aller türkischen und österreichischen Fans eingegraben hat (und bei jedem Rückblick hervorgekramt werden wird). Ein englischer Reporter verglich sie mit der von Gordon Banks 1970 (!) bei der WM gegen Pelé, bisher die Mutter aller Saves. https://www.youtube.com/watch?v=HNLam4RAbg8

Stark trotz der Niederlage
Christoph Baumgartner: Unermüdlicher Antreiber. Suchte den Abschluss, schrammte in der 2. Minute ganz knapp am Ausgleichstreffer vorbei. Und dann sein Kopfball, der ihn  sein Leben lang verfolgen wird …“Ich würde alles wieder so machen“, bekannte er fassungslos.

Ausblick der Sieger
Die Türken müssen vor allem wieder zu Kräften kommen. Sie werden sich wieder mit allem, was sie haben, den Holländern entgegenwerfen. Zumindest ist Hakan Caljanoglou nach seiner Gelbsperre dabei. Eine Sperre droht allerdings dem zweifachen Torschützen Demiral, der den sogenannten Wolfsgruß beim torjubel zeigte.dem Symboldre rechtsextremen „Grauen Wölfe“, die der Verfassungsschutz beobachtet. Das überschattet den Sieg erheblich, doch egal wer spielt: Oranje ist gewarnt.

Und die Verlierer?
Vielleicht war das alles zu viel. Das Hochjubeln nach den beiden Siegen gegen Polen und Holland nicht nur in der Heimat in der Vorrunde. Das Gerede von „leichten“ Turnierast, dem möglichen Finale, das so greifbar sei. Der Hype um Trainer Ralf Rangnick. Plötzlich war Austria Favorit, eine bis dato unbekannte Rolle – und dann natürlich die kalte Dusche in der 1. Minute.
So sehr die mannschaftliche Geschlossenheit zu recht gelobt wurde, jetzt fehlte er eben, der Ausnahmekönner, dem  in der Offensive die Ausnahmeaktion gelingt. So war es ein zwar stetes Anrennen, auch nicht blind, aber außer  für Baumgartner gab es keine echte Tochance gegen das türkische Bollwerk. Dass in der Schlussphase keine frischen Offensiv-Kräfte, keine Brecher mehr zur Verfügung standen und auch deshalb einsichtlich erschöpfter Arnautovic durchspielen musste, das erkklärt die Niederlage ein wenig, so unverdient sie erscheinen mag.
Doch insgesamt überwiegt das Positive. Ich verfolge jetzt den österreichischen Fußball jetzt seit mehr als 50 Jahren (genauer gesagt, seit Novewmber 1973 und demnatürlich verlorenen WM-Quali-Entscheidungsspiel gegen Schweden) mehr oder weniger regelmäßig, ja ich leide mit ihnen. Und ich habe gestern mit ihnen gelitten. Doch noch nie habe ich ein österreichisches Team derart leidenschaftlich gegen eine drohende Niederlage sich aufbäumen, als insgesamt klar besseres Team ausscheiden sehen. Jetzt die Ruhe bewahren, Trainer Ralf Rangnick weiter machen lassen und vor allem weitermachen lassen, und da kann echt was entstehen. See you WM in America. Und nicht nur zum Frühstück.