Schon die Nachricht an sich hat mich ziemlich verstört. Letzte Woche meldete der FC Bayern, dass man sich mit Nick Woltemade einig sei, auf das der 23-jährige „ab sofort“ bis 2030 beim Fußball-Rekordmeister auf Torejagd gehe. Sogar das jährliche Salär (bis zu 10 Mio/Jahr) gaben die Münchner bekannt. Meine erste Reaktion: Was zur Hölle will Woltemade beim überragend besetzten Meister, wo Harry Kane und Jamal Musiala seine bevorzugten Positionen ganz vorne oder als Verbindung besetzen und vorerst mit Sicheheit nicht zu verdrängen sind.

So weit, so ungut in diesem Millionengeschäft. Gäbe es da nicht das klitzekleine Problem, dass besagter Nick Woltemade schon einen gültigen Vertrag hat. Allerdings nicht beim FC Bayern, sondern beim Liga-Konkurrenten VfB Stuttgart. Bis 2028 und ohne jede Ausstiegsklausel. Den VfB aber haben Bayern weder um Erlaubnis gebeten, dass sie mit ihrem Angestellten über eine Abwerbung sprechen dürfen, geschweige denn erhielten sie die Erlaubnis dafür, wie die Stuttgarter unwidersprochen darlegten. Was gängigen und ziemlich strengen Regeln der Verbände völlig widerspricht. Die besagen nämlich, dass solche Gespräche höchstens in den letzten 6 Monaten der Vertragslaufzeit stattfinden dürfen.

Die Stuttgarter waren verständlicherweise alles andere als amused, und schnell war klar, dass dieser Transfer nicht so einfach über die Bühne gehen würde. Die Bayern selbst hatten das Ganze ja an die Öffentlichkeit gebracht, und so durfte es niemanden verwundern, dass hochbezahlte Experten wie Lothar Matthäus sich dazu äußerten. Der tat etwas für sein Geld und setzte eine Ablösesumme von 80 bis 100 Millionen Euro in die Welt. Und siehe da: Der vfB setzte eben diese Summe als Verhandlungsbasis an, um über einen vorzeitigen Wechsel überhaupt zu reden.

Was wiederum Uli Hoeneß über die Maßen erregte: Lothar Matthäus habe nicht mehr alle Tassen im Schrank, polterte der Ehren-Präsident und Graue Eminzenz derr Bayern. Nur wegen ihm habe der VfB die Summe so hoch angesetzt, und Woltemade sei diese doch nie im Leben wert. Eine These, die nicht nur Matthäus beleidigte (so die Hoeneßsche Intention), sondern auch die Intelligenz der Stuttgarter Vereinsführung, die im Zweifel selbst darauf gekommen wäre, dass sie alle Trümpfe in der Hand haben und diese Summe aberwitzig hoch ansetzen könnten.

Und nicht zuletzt beleidigte Hoeneß auch noch seinen Wunschspieler Woltemade, als er ihm absprach, diese Summe wert zu sein. Der ist in diesem Sommer so etwas wie der heißeste Scheiß im deutschen Fußball. Aus dem Nichts spielte er eine herausragende Rückrunde beim VfB, avancierte zum Nationalspieler und glänzte gerade bei der U-21-EM, die er als Torschützenkönig abschloss. Apropos U-21-EM: Der Zeitpunkt, als die Bayern mit dem angeblich gesicherten Transfer an die Öffentlichkeit gingen, war brillant gewählt; nämlich unmittelbar vor dem Finale gegen England. Dort spielte der bis dato so starke Woltemade geradezu unsichtbar, und ich muss kein Psychologe sein, dass er sich in den Tagen zuvor auch mit anderen Dingen beschäftigt hatte als mit dem bis dahin wichtigsten Spiel seiner Karriere. Woltemade selbst ist bis jetzt wohl der ganz große Verlierer: Der nach nur einem halben Jahr dem Verein den Rücken kehren will, der ihn förderte und an ihn glaubte; der mit seiner Bezahlung (nur 2,5 Millionen Euro) unzufrieden ist, der unbedingt zum Branchenprimus wechseln will (warum auch immer).

Die Bayern stehen auch miserabel da: Ohne Not haben sie den Transfer herausposaunt. Offenbar sahen sie Bedarf, ihre Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, nachdem die anvisierten Wechsel von Florian Wirtz und Nico Williams und Barcola nicht zustande kamen. Ein teures Posaunen: Entweder sie zahlen die 80 oder 100 oder 120 Millionen, die der VfB letztlich aufruft oder sie verzichten und verzichten damit auf einen verheißungsvollen jungen Stürmer, der ihnen zumindest in mittelfristiger Zukunft weiterhelfen kann. Der VfB kann sich dagegen relativ beruhigt zurücklehnen. Sie haben den wasserdichten Vertrag. Entweder sie werden über die Maßen hoch entschädigt oder sie behalten den Angreifer, der mit seiner Entwicklung auch noch längst nicht am Plafond angekommen ist. Bedenken, dass Woltemade beleidigt ist ode gar seinen Wechsel durch „Streik“ forcieren will, sehe ich nicht. Woltemade scheint zum einen nicht der Typ dafür zu sein, zum anderen muss er erst mal seine Leistung bestätigen. Und letztlich steht 2026 die WM in Amerika an, bei der er unbedingt dabei sein will.

Uns objektiven Betrachtern bleibt ein unterhaltsames Bauern-Theater (zumindest die Vorwürfe zwischen Hoeneß/der Bayern Entourage) und Matthäus, die ja eine jahrelange Feindschaft pflegen. Unendlich viele Experten und Kommentatoren fühlen sich bemüßigt, ihren Senf dazu abzugeben. Ich hoffe nur, dass Nick Woltemade einigermaßen schadlos aus der (auch von ihm) eingebrockten Not herauskommt.