Deutscher Endspurt mit 3 Goldenen, Österreich, die Segelnation und holländische Shootout-Spezialisten im Hockey – das und viel mehr geschah am Freitag. Ich entschuldige mich jetzt schon für etwas Deutschtümelei und meinen Mut zur Lücke.

Graziös zum Sieg mit Band und Keule

Nimmt man alle Vorleistungen, dann war die Gymnastin Darja Varfolomeev fast die sicherste deutsche Gold-Kandidatin. So überlegen war sie bei der vergangenen WM, als sie alle Einzeltitel gewann und auch die Gesmtwertung. Aber neuer Wettbewerb, neues Glück, und sie musste ja erst fehlerfrei durch ihre 4 Übungen im Finale, was ihr etwa im Vorkampf mit dem Reifen nicht gelang. Doch am Freitag war die 17-Jährigepoint, lieferte starke bis fantastische Übungen mit Ball, Reifen, Keulen sowie Band und holte souverän Gold. Unglaublich sind die Beweglichkeit, Koordination und die Geschicklichkeit; wenn sie etwa zwei Keulen meterhoch in die Luft wirft und elegant auffängt, nachdem sie zwischendurch schwindelerregende Drehungen und Wendungen vollführte. Dazu immer anmutig lächelnd.
Fast noch mehr beschäftigte sie allerdings, dass ihre Trainingskollegin Margarita Kosolov als Vierte eine Medaille knapp verpasste. Varfolomeev ließ Goldjubel erst mal Goldjubel sein und ging zum Trösten. Eine ganz große Sportlerin und  ein toller Mensch ist die in Sibirien geborene Varfolomeev, hoffentlich wird sie dieses Jahr Sportlerin des Jahres, nichts für ungut, Jessica von Bredow-Werndl.
Vielleicht müsste die Sportart etwas moderner herkommen (das Kiss und Cry mit Trainerin bei der Notenvergabe und eben das wie festgetackerte Dauerlächeln erinnern stark an Eiskunstlauf), um auch die Jüngeren abzuholen. Die schauen lieber Breaking, dessen sportliche Faszination wiederum an mir völlig vorbeigeht …

Ogunleye nutzt Gunst der Stunde

Die deutsche Kugelstoßerin machte den Mihambo-Move: Nein so elegant wie die Weitspringerin wird Yosemite Ogunleye nicht mehr, obwohl sie für eine Kugelstoßerin recht schlank ist. Aber Mihambo-Nervenstärke im letzten Versuch – die zeigte sie. Silber war ihr gewiss, als sie das Gerät auf genau 20 Meter wuchtete – die Führung, und kurze Zeit später stand auch das Gold fest, das erste und höchstwahrscheinlich auch einzige der deutschen Leichtathleten. Sie profitierte natürlich davon, dass die Favoritinnen nicht ins Stoßen kam, so hatte Doppelweltmeisterin und Jahresbeste Chase Jackson sich nicht einmal fürs Finale qualifiziert. Dem verdienten Gold tat das keinen Abbruch, und so durfte sie wie alle Goldenen die Glocke im Stadion läuten, noch eine so hübsche Idee der Veranstalter.
Schon zuvor hatten die deutschen Sprinterinnen in einem reichlich konfusen Rennen Staffelbronze geholt, obwohl der erste Wechsel wahrhaft nicht perfekt war (und fast irregulär). Das galt allerdings für alle Staffeln. Gina Lückenkemper lief in der zweiten Kurve ein fantastisches Rennen, umso ärgerlicher ihr verpatzter Start im Einzel-Halbfinale über 100 Meter. Sogar Gold wäre für die Staffel bei einem perfekten Lauf drin gewesen, denn auch die siegreichen Amerikanerinnen waren alles andere als perfekt bei ihren Wechseln und blieben weit hinter dem Weltrekord.
Weitaus schlimmer erging es den US-Männern, die nach einem völlig missratenen Wechsel ohne Medaille blieben. Der Sieg in einem ebenfalls von Fehlern geprägten Rennen ging letztlich an Kanada vor Südafrika, den Einlauf hätte man mal voraussehend wetten sollen ….
Kaum zu glauben, aber die US-Boys sind in der Sprintstaffel tatsächlich seit 2000 (!) ohne Gold. Okay, zwischen 2008 und 2016 war ein gewisser Usain Bolt für Jamaika am Start … Apropos Jamaika: Keine Staffel-Medaille, kein Sprint-Gold, keine Sprintmedaille für die Frauen überhaupt  – Olympia zum Vergessen, wenn es da nicht den Gold-Diskuswerfer Roje Stona gäbe.
Ein eher seltenes Ergebnis brachten die 400 Meter Hürden. Wie 2020 gewannen Rai Benjamin, Karsten Warholm und Alison dos Santos die Medaillen. Allerdings diesmal Benjamin Gold und Warholm Silber, in Tokio war es genau anderherum.
Last but not least sei Marileidy Paulino erwähnt: Die rannte in schier unglaublichen 48,17 Sekunden zu 400-Meter-Gold, das erste bei Olympia überhaupt für eine Frau aus der Dominikanischen Republik. Sie schaffte die sechstbeste Zeit jemals, olympischen Rekord dazu (zuvor Flammenwerferin Marie-José Perec) und vebesserte ihre persönliche Bestleistung um sagenhafte sechs Zehntel. Soll ich das bejubeln oder doch Zweifel bekommen, ob da alles mit rechten Dingen zugegangen ist? Das eewige Problem mit dem Doping …

Die holländischen Shootouts

Nach den Männern haben auch die Frauen Hockey-Gold geholt. Und wie die Männer gegen Deutschland brauchten auch die Frauen gegen aufmuckende Chinesinnen die Entscheidung im Shootout. Da zeigten die Oranjes ihre Klasse, verwandelten 3 von 4 Versuchen, während China relativ hilflos nur einmal erfolgreich war. Das schmucke Stadion ertrank in Jubel-Orange. Nationalsport halt …

Klarer als erwartet

Ein Entscheidungstag im Kanu ohne deutsches Gold ist kein Kanu-Tag. Nun, ganz so groß ist die Dominanz nicht mehr, aber der Zweierkajak über 500 Meter mit Jacob Schopf und Max Lemke siegte klar vor den Weltrekordhaltern Bece Todas und Sandor Totka aus Ungarn. „Klar“ heißt in für Kanu doch respektable 28 Hundertstel.

Der Wolff lässt Spanier verzweifeln

Im Halbfinale der Handballer. Der Schlussmann Andreas Wolff, einer der Besten der Welt, entschärfte reihenweise auch die besten Chancen der Iberer. Wenn ein Klasse-Torwart erst mal in einem Flow ist, lässt er sich kaum noch überwinden. Noch am Mittwoch hatte er einen rabenschwarzen Tag im Viertelfinale gegen Frankreich erwischt, hielt keinen Ball und verließ bereits nach gut einer Viertelstunde das Parkett für seinen dann glänzenden Stellvertreter David Späth. Und jetzt diese monströse Leistung. die die Spanier verzweifeln ließ, die sich am Ende gar nicht mehr zu werfen trauten. Allerdings wird es eine solche (oder eben von Späth) am Sonntag im Finalae gegen Dänemark erneut brauchen. Unschlagbar scheinen mir die Skandinavier allerdings nicht zu sein. Allerdings haben die mit Emil Nielsen und Niklas Landin ebenfalls zwei absolute Weltklassetorhüter.

Und sonst

  • Segelsieg fürs Binnenland, Nummer 2: Kitesurfer Valentin Bontus aus Niederösterreich am Freitag alle 3 Wettfahrten und holte völlig überraschend Gold, das zweite im Segeln für Österreich und das zweite für Österreich insgesamt bei Olympia. „Olympiasieger hört sich surreal an. Das ist unglaublich. Ich bin überwältigt“, befand er im ORF.
  • Gold für den Discjockey: Im Beachvolleyball-Finale waren die Brasilianerinnen Ana Patricia/Duda und Melissa/Brandie aus Kanada nach einem umstrittenen Ball aneinandergeraten, viel hätte nicht gefehlt, sie hätten eine zünftige Zickenkrieg-Rauferei mit Haareziehen und so (was sich der Münchner Löwe halt so vorstellt …) angefangen. Völlig ungewöhnlich bei den Beachern, die sich gewöhnlich alle gut verstehen in ihrem gemeinsam herumziehenden Beachzirkus. Und was macht der Discjockey? Spielt geistesgegenwärtig „Imagine“ – und zauberte nicht nur bei den Zuschauern ein Lächeln ins Gesicht, sondern auch bei 3 der 4  Athletinnen. Nur die muffelige Ana Patricia verzog keine Miene. Jedenfalls waren jetzt alle wieder entspannt. Am Ende holten sich die favorisierten Brasilianerinnen Gold – und herzliche Glückwünsche der Gegnerinnen ab, und jetzt konnte auch Ana Patricia selig lächeln, ja lachen.
  • Gold für Imane Khelif: Die algerische Boxerin war in der vergangenen Woche die wohl umstrittenste Athletin der Spiele. Angezweifelt wurde ihr Frausein, weil sie  – sehr verkürzt gesagt – ihr Testosteronspiegel eher männlich ist. (Besser und genauer: hier https://www.spiegel.de/sport/olympia/olympia-2024-boxerin-imane-khelif-gewinnt-gold-ich-bin-eine-frau-wie-jede-andere-frau-auch-a-46c1d210-14f1-4897-b1c4-832597b8a465
    Der Box-Weltverband hat sie deshalb für WMs ausgeschlossen. Zu dem allerdings muss man sagen, dass er dermaßen korrupt ist, dass ihn das (ebenfalls sehr korrupte) IOC nicht anerkennt und das Boxen in eigener Regie händelt. Und es eben für unproblematisch fand, eine Imane Khelif starten zu lassen. Auf dem Rücken der Boxerin (und ihrer unterlegenen Konkurrentinnen) wurde eine Art Stellvertreterkrieg ausgetragen. Rassismus und Woke-Debatten inklusive auch von den Melonis und Trumps und Musks dieser Welt – das Ganze extrem unschön. Jetzt in Roland Garros, wohin die Boxer zu ihren Finali nach Beendigung der Tennis-Wettbewerbe umziehen durften, das Happy End für Khelif, die souverän das Finale gewann und sich vom Publikum feiern ließ.
    Ein ungutes Gefühl bleibt ob einer möglichen Ungerechtigkeit. Das IOC hat es verabsäumt, schon im Vorfeld eindeutig Stellung zu beziehen, warum sie die Entscheidung des Box-Verbandes für null und nichtig hielt. Und auch in der Debatte, die jetzt hochkam, hat es Khelif elendig im Stich gelassen. Danke, Thomas Bach!