Leichtathletik-Weltmeisterschaften, Teil II (Dienstag bis Freitag)
Sidney McLaughlin in neuen Sphären
die Stadionrunden mit und ohne Hürden
Meine steile These: Wenn es in Tokio am Donnerstag nicht geregnet hätte, wäre Marita Koch jetzt ihren Weltrekord über 400 Meter los. So stark war nämlich de Auftritt von Sidney McLaughlin-Levine über die Stadionrunde, die sich auch durch die nasse Bahn und entgegenfliegende Tröpfchen kaum beeindrucken ließ. Am Ende standen für sie 47,78 Sekunden, die zweitbeste je von einer Frau gelaufenen 400-Meter-Zeit und nur 18 Hunderstel hinter dem unglaublichen Rekord von Koch aus der Hochzeit des (Anabolika)-Dopings.
Zu langweilig waren der Amerikanerin die 400 Meter Hürden geworden, sie wollte ihre Komfortzone verlassen, das gelang ihr prächtig, nachdem sie sich bisher 2025 relativ rar gemacht hatte.
Hinter McLaughlin-Levine knackte Olympiasiegerin Marileidy Paulino aus der Dominikanischen Republik mit 47,98 Sekunden ebenfalls die 48er-Marke (die drittbeste je gelaufene Zeit. Das sagenhafte Ergebnis rundete Sawar Eid Naser aus Bahrein mit 48,17 Sekunden ab.
Tags darauf konnte Sidney McLaughlin ihre langjährige Hürdenkontrahentin Femke Bol bei eine ebenfalls fantastischen Leistung begutachten. Die Holländerin siegte klar in Weltjahresbestzeit (51,54), blieb aber doch um mehr als eine halbe Sekunde über ihrem Europarekord (50,95). Fehlende Konkurrenz?
Immerhin bestätigte Femke Bol eindrucksvoll ihre Favoritenstellung, das gelang bei den Männern Weltrekordler Karsten Warholm absolut nicht. Der norwegische Jahresbeste vergeigte seinen Lauf und wurde nur Fünfter, eine herbe Enttäuschung. So war die Bahn frei für einen US-Amerikaner. Rai Benjamin hatte in starken 46,52 Sekunden die Nase vorn vor dem bei Großereignissen immer wieder erstaunlichen Alison Dos Santos (Brasilien) und Abderrahman Samba aus Katar. In diesem Spitzenfeld hielt sich der Deutsche Emil Agyekum prächtig und blieb erneut unter 48 Sekunden.
3 Männer aus Botswana hatten sich für den Endlauf über 400 Meter flach qualifiziert, am Ende sprangen für das kleine Land immerhin 2 Medaillen heraus. Busang Collen Kebinatspihi siegte vor Jereem Richards aus Trinidad/Tobago und seinen Landsmann Bayapi Ndori. Das verspricht ein Spektakel für die 400-Meter-Staffel am Sonntag.
Europas Speerwerfer werfen hinterher
Schon länger sind ja die Zeiten vorbei, als man die Wurfdisziplinen getrost an Athleten des alten Kontinents verteilen konnte. Dass aber alle Speer-Medaillen an Athleten aus Amerika gehen würden, war nicht absehbar. Wobei sowohl Weltmeister Keshon Walcott aus Trinida-Tobago, der zweite Anderson Peters und sogar Curtis Thompson einen Namen in der Branche haben. Doch sehr viel höher gehandelt bei den Experten wurde ein Deutscher: Julian Weber kam als souverän Jahresbester nach Tokio, doch wieder mal klappte es nicht mit einer Medaille bei einem Großereignis. Mit 86,11 Metern blieb er weit hinter seiner Bestleistung zurück. „Kein Weltuntergang, aber trotzdem scheiße“, konstatierte Weber. Gesundheitlich angeschlagen war er, und wie viele andere Favoriten kam er mit den Bedingungen (gerade beim Anlauf sind Speerwerfer extrem heikel) nicht gut zurecht.
Hummel hammerstark
Ein anderer aussichtsreicher deutscher Werfer (über)erfüllte die recht hohen Erwartungen. Merlin Hummel schleuderte den Hammer auf 82,77 Meter und verbesserte seinen eigenen Rekord um mehr als einen Meter. Nur der Ausnahme-Athlet Ethan Katzberg verhinderte gar das Gold. Der Kanadier brillierte mit 84,70 Metern (WM-Rekord). Sogar die Weltrekordweite von Juri Sedych (86,74/noch so eine aus finstersten Anabolika-Zeiten) scheint für den Edeltechniker aus Kanada mit seinen fürs Hammerwerfen noch jungen 25 Jahren bei perfekten Bedingungen möglich.
Und sonst?
- Springfreudige Italiener: Am weitesten hüpfte Mattia Furlani: Seine 8,39 Meter lagen allerdings satte 56 zentimeter hinter dem immer noch gültigen Weltrekord von Dwight Powell: De Amerikaner hatte vor 34 Jahren an gleicher Stelle einen der faszinierendsten Sport-Zweikämpfe de Geschichte gegen Carl Lewis für sich entschieden.
Im Dreisprung führte bis zum letzten Versuch der Konkurrenz überhaupt Andrea Dallavalle. Bis der WM-Favorit Pedro Pichardo aus Portugal noch mal einen draufpackte und auf 17,91 Meter segelte. - Lange Sprints an die USA: Zunächst ließ Noah Lyles seiner One Man Show vorm 200-Meter-Finale Taten folgen und gewann in superben 19,52 Sekunden knapp vor Landsmann Kennethn Bednarek (19,58) und Bryan Levell aus Jamaika (19,64). Ohne Medaille blieb Olympiasieger Letsile Tebogo, der mit 19,66 2 Zehntel hinter seinem Pariser Goldlauf von 2024 blieb. Trotzdem dürfte er die potenzielle Goldstaffel von Botswana wesentlich verstärken.
Bei den Frauen blieb Melissa Jefferson-Wooden in 21,68 als Einzige unter der 22-Sekunden-Marke.
Wochenend-Programm
- Spannungsgeladene Staffel-Entscheidungen am Sonntag 4×100- und 400x-Meter bei Frauen und Männern. Tags zuvor die Vorläufe. Immer wieder zwei Fragen: Findet der Stab, von Hand zu Hand getragen, ins Ziel? Und wie klappen die Wechsel?
- Siebenkämpferinnen und Zehnkämpfer gelten als die KönigInnen der Leichtathleten. Am Samstag die Entscheidung bei den Frauen, am Sonntag bei den Männern.
- Doch noch Ösi-Medaillen? Die Jahresbeste Victoria Hudson im Speer und Lukas Weißhaidinger mot dem Diskus sind noch große Austria-Trümpfe. Hudson überstand mit dem letzten Wurf die Qualifikation. Gibt ihr das Auftrieb (geschafft!) oder Zweifel (Frau, war das knapp!)?
- Deutsche Hoffnungen: Vor allem Leo Neugebauer und Niklas Kaul im Zehnkampf (die Form ist sehr schwer einzuschätzen) und die Sprintstaffel der Frauen, wo Gina Lückenkemper und Kolleginnen allerdings wohl auf fremdes Staffelstab-Missgeschick angewiesen sind.
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