von Münchner Löwe | Aug. 7, 2023 | Frauen-WM, Fußball
Ja, kann man sich denn auf gar keine Weisheiten mehr verlassen? Deutschland als gefürchtete Turniermannschaft, die noch mit dem schlimmsten Rumpelfußball weit kommt, remember zum Beispiel mit Schrecken an 1982 und ´86 und Gary Linekers Spruch von „immer gewinnen die Deutschen“, das ist schon länger Geschichte. Und jetzt gewinnt England, der verlässliche Versager vom Punkt, tatsächlich ein Elfmeterschießen, nämlich am Montag gegen Nigeria. Bei einer WM! Okay, erst mal nur bei den Frauen, aber wenn der Damm erst mal gebrochen ist …
Dann noch der Gipfel, dass eine Bethany England! ihren Versuch verwandelt hat. Und den einzigen Fehlschuss leistete sich Georgie Stanway, Legionärin beim FC Bayern in der deutschen Bundesliga, dem Land der Elfmeterspezialisten. Gleich zu Beginn, da lief also alles planmäßig. Und dann verwandeln die Lionesses (sic!) tatsächlich vier Schüsse hintereinander. Es müssen alle Rechenmodelle auf ihre Richtigkeit überprüft werden, KI hilf! Aber es ist Tatsache. England ist weiter und darf am Samstag sein Glück gegen Kolumbien oder Jamaika versuchen.
Vor dem Elferschießen hat es im übrigen keine Tore gegeben, immerhin dieser Trend setzt sich fort. In der zweiten Montagsbegegnung gewann Australien mit 2:0 vor mehr als 75 000 Zuschauern in Sydney gegen Dänemark. Wieder lange Zeit ohne Superstar Sam Kerr, die erst in der 80. Minute eingewechselt wurde, da waren die Messen schon gesungen und zwei schöne Tore gefallen. Mittlerweile ist Frau Kerr fast schon ein Phantom mit der wohl langwierigsten Wadenzerrung, die es je gegeben hat. Oder ist es doch mehr, etwa ein Faserriss?. Nun, sie hat jetzt bis Samstag Zeit, sich zu kurieren, dann wartet wiederum in Sydney, hoffentlich wieder im Olympiastadion, Frankreich oder Marokko.
von Münchner Löwe | Aug. 6, 2023 | Frauen-WM, Fußball
Jeden Drehbuchautor hätte man mit einem solchen Ende vom Hof gejagt. Ein Elfmeter von Lina Hurtig entschied ein ohnehin schon skurriles Elfmeterschießen zwischen Titelverteidiger USA und Schweden zu Gunsten der Skandinavierinnen. Ihren Schuss konnte US-Torfrau Alissa Naeher zwar berühren, aber in einer irren Effetkurbe drehte sich der Ball in Richtung Torlinie. Mit bloßem Auge war nicht zu erkennen, ob er sie mit vollem Umfang wie von den Regeln gefordert die Linie überschritten hatte. Doch es gibt ja die Torlinientechnik, die Schiedsrichterin Stephanie Frappart in Anspruch nahm. Relativ schnell entschied sie auf Tor, und Hurtig machte ihrem Namen alle Ehre und raste von ihren Mannschaftskolleginnen verfolgt jubelnd übers Feld. Als besagte Szene über die Bildschirme flimmerte, war klar: Es war eine Millimeter-Entscheidung, und hoffentlich haben sie die Kameras auch gut kalibriert. Gott sei Dank hab ich das nicht entscheiden müssen. Die Szene erinnerte mich an den legendären Penaltyschuss des deutschen Eishockeyspielers Peter Draisaitl, als sein Versuch bei Olympia 1992 gegen Kanada vom Torhüter gestoppt wurde, der Puck Sekunden lang auf der Torlinie tanzte, aber eben dort liegen blieb.
Dass die Schwedinnen überhaupt ins Elfmeterschießen gekommen waren, hatten sie ihrer Torfrau zu verdanken. Zesira Musovic zeigte die bisher beste Torhüterleistung des Turniers, blieb fehlerlos und hielt unter anderem herausragend den Direktschuss von Sophia Smith ab und gegen die freistehende Alix Morgan. In der Offensive enttäuschte Schweden. Naeher war stets bei den gefürchteten Standards und auch beim einzig gefährlichen Torschuss von Sofia Jakoben zur Stelle.
Es kam also zum Elfmeterschießen, in dem Muhovic keinen einzigen Versuch auch nur berühren konnte. Ihr der Schwedinnen Glück war, dass Megan Rapinoe, Smith und die eigens für die Penalty-Entscheidung eingewechselte Kelley O´Hara das Ziel verfehlten. Da blieben die Fehlversuche von Björn und Blomqvist letztlich folgenlos. Bitter für die US-Ikone Rapinoe, die ziemlich sicher ihr letztes großes Turnier bestritt. Andererseits hat sie in ihrer Karriere genug gewonnen, wenn auch nicht den Respekt von Donald Trump.
Für die Schwedinnen geht es hingegen weiter – im Viertelfinale am Freitag gegen Japan. Sie werden sich gehörig steigern müssen, denn die bisher so glänzend auftrumpfenden Asiatinnen dürften das Tor besser treffen als die USA – bisher war das 14-mal der Fall.
Auch im zweiten Achtelfinale heute zwischen den Niederlanden und Südafrika wurde die Torfrau zur Spielerin der Partie gewählt, und das war die Holländerin Daphne van Domselaar, die eine Art Privatduell gegen die bärenstarke Thembi Kgatlana für sich entschied und eine weitere Turnierüberraschung verhinderte. Immer wieder rettete sie in höchster Not gegen die glänzende Angreiferin. So reichte Oranje eine durchschnittliche Leistung. Jill Roard und Tiisetso van de Donk nach einem furchtbaren Torwartfehler Kaylen Swart trafen.
Holland trifft ebenfalls am Freitag im Vietelfinale auf Spanien. Auch sie werden sich erheblich steigern müssen, doch ich rechne jetzt mit einem Halbfinale Japan gegen Spanien.
von Münchner Löwe | Aug. 5, 2023 | Frauen-WM, Fußball
Das war mal ein Statement. Mit überzeugenden Siegen sind Spanien und Japan ins Viertelfinale eingezogen. La Roja bezwang die Schweiz 5:1, Nippon setzte sich gegen Norwegen mit 3:1 durch.
Beide Mannschaften waren in der Vorrunde aufeinandergetroffen mit dem deutlichen 4:0 der Japanerinnen. Doch Espana zeigte eindrucksvoll, dass es im Kampf um den Titel ein ernsthaftes Wörtchen mitreden will. Nicht einmal ein kurioses Eigentor zum zwischenzeitlichen 1:1 aus fast 40 von der Mittellinie, als Laia Codina ihre Torhüterin Cata Colimit einem Rückpass überlistete, brachte das Team aus der Fassung. Aitana Bonmati war nicht nur wegen ihrer zwei Tore die beste unter vielen guten Spielerinnen, die einen wunderbaren technischen Fußball zeigten, von den Schweizerinnen zum Verdruss ihrer deutschen Trainerin Inka Grings aber auch reichlich ungestört agieren durften. Und das alles ohne Alexia Putellas, die erst in der 77. Minute eingewechselt wurde. Codina rehabiliterte sich mit einem Abstaubertor zum 4:1, und auch wenn die Schweizerinnen im zweiten Durchgang engagierter zu Werke gingen, gab es am Sieg nichts zu deuteln. In der Form sehe ich Spanien als Favorit im Viertelfinale wahrscheinlich gegen Holland, das morgen früh um 4 Uhr (offenbar nur Livestream) Südafrika erwartet.
Die für mich so schwer einzuschätzenden Norwegerinnen entpuppten sich dann nicht als Stolperstein für Japan. Aber zumindest ansatzweise zeigten die Skandinavierinnen, warum sie als von einigen Experten als brandgefährlich eingestuft werden. Wie beim Ausgleich nach der frühen japanischen Führung, als Guro Reiten mit einem herrlichen Kopfball Ayaka Yamashita überwand – es war das erste Gegentor für Nippon im Turnier.
Doch die Japanerinnen waren wenig geschockt, bewahrten die Ruhe und zogen ihr gefürchtetes Flachpass-Kombinationsspiel auf, das Norwegen durcheinanderwirbelte. Nach einem Querschäger im Strafraum war Rizo Shimizu zur Stelle; ihr Schuss wurde noch leicht abgefälscht.
Erst Mitte der zweiten Halbzeit kam Norwegens Star Ada Hegerberg ins Spiel, und tatsächlich hatte Norge eine gute Ausgleichs-Chance durch Karina Saevik, die aber verzog. Die Entscheidung führte Hiyata Minazawa mit ihrem fünften Turniertor herbei, die einen Traumpass von Aoba Fujino eiskalt verwandelte.
Mich würde es wenig wundern, wenn sich Spanien und Japan im Halbfinale wiedertreffen würden. Japan bekommt es jetzt allerdings mit einem echten Schwergewicht zu tun, denn die bisher so starken Schwedinnen und Titelverteidiger USA ermitteln morgen um 11 Uhr den Viertelfinalgegner. Der obere Turnierbaum hat es schon in sich, während unten Frankreich und England es viel leichter haben dürften. Soviel zur Theorie, die auf dem Platz erst mal bestätigt werden muss.
Noch ein Wort zu den Deutschen: Trainerin Voss-Tecklenburg macht also weiter. Sie ist bereit, ist ja auch ein schöner gutbezahlter Job, und sie hat den Segen des DFB in Person von Präsident Bernd Neuendorf. Wieder zeigt sich der Nachteil einer vollkommen überflüssigen Vertragsverlängerung vor dem Turnier, das den Spielraum beim finanziell mittlerweile klammen Verband einschränkt. Immerhin will MVT in den nächsten Wochen analysieren, was da Down under so schrecklich schiefgelaufen ist. Der erste Fehler war schon die Wahl des Quartiers in der australischen Pampa. Hat man denn aus dem Desaster der deutschen Männer im abgelegenen Watutinki bei der WM 2018 so gar nichts gelernt? Viel Zeit hat sie allerdings nicht, denn ab September steht die Nations League und die damit verbundene Olympia-Quali an. Nur zwei europäische Teams sind neben Gastgeber Frankreich dabei. Zumindest der Gruppensieg erscheint angesichts der Gegner Dänemark, Island und Wales machbar. Dann muss ein Sieg im Hlabfinale her, und das Ticket wäre sicher und sicher Balsam für die verwundete deutsche Seele.
von Münchner Löwe | Aug. 4, 2023 | Frauen-WM, Fußball
Die Vorrunde ist vorbei, aber viel schlauer, was die Form der Teams, die die K.-o.-Runde erreicht haben, bin ich nicht. Sind die US-Girls wirklich so wenig durchschlagkräftig wie in den Partien gegen Holland und Portugal? Wie stark sind die Engländerinnen wirklich, die neben Japan und Schweden als einziges Team ohne Punktverlust blieben, aber im Vergleich zum EM-Triumph vor einem Jahr wertvolle Spielerinnen vermissen. Fast hinter jedem Team steckt ein dickes Fragezeichen. Das macht die WM so interessant.
Zwei Dickschiffe, die man durchaus mindestens im Halbfinale erwarten durfte, sind nicht mehr dabei: Brasilien und vor allem Deutschland. Wie unvermittelt das Aus gerade die Deutschen schockte, zeigt die Tatsache, dass nicht einer der Verantwortlichen einen Notfallplan hatte und die Spielerinnen nur tröpfchenweise das Land per Flieger verlassen konnten. Bei allen war der Gruppensieg bis zuletzt fest eingeplant.
Auffällig war, dass die sogenannten Kleinen vor allem in der Defensive mächtig dazugelernt haben. Fast alle Teams waren in der Regel nur schwer zu knacken. Jetzt müssen die meisten Mannschaften in der Offensive mächtig draufpacken, da war das Niveau bei vielen doch sehr überschaubar. 15 Partien endeten 1:0 oder 0:0. Paradebeispiel sind die Jamaikanerinnen: Sie blieben ohne Gegentor, außerdem schafften das die Schweiz und Japan, schossen aber nur ein Tor und waren auch sonst größtenteils harmlos. Und dass Marokko mit einem Torverhältnis von 2:6 die Deutschen aus dem Turnier kegelten, die ihrerseits ein Torverhältnis von 7:2 hatten, dürfte es in dieser Form auch noch nicht gegeben haben.
von Münchner Löwe | Aug. 4, 2023 | Frauen-WM, Fußball
Trotz aller Unwägbarkeiten wage ich ein Power Ranking, allein basierend auf den Leistungen im Turnier. Meine Nummern 1 und 2 werden das Finale nicht bestreiten können, weil sie schon im Viertelfinale aufeinandertreffen würden.
Japan Drei überzeugende Siege und ein Torverhältnis von 12:0 sprechen für sich. Sie sind tolle Fußballerinnen, ideenreich, flink, technisch beschlagen und flexibel, wie die brillante Kontertaktik beim 4:0 gegen Spanien zeigte. Der Titel führt über Nippon.
Schweden: Mein wahrscheinlich gar nicht mehr so geheime Geheimtipp. Physisch sehr stark mit unglaublich gefährlichen Standards. Amanda Ilestedt tut sich hier hervor, traf als Verteidigerin schon dreimal.
Frankreich Das 0:0 gegen Jamaika war noch sehr holprig, aber Les Bleues zeigten dann gegen Brasilien ihre Stärken. Sie haben grandiose Einzelspielerinnen mit Wendy Renard an der Spitze. In die Quere kommen könnte ihr Leichtsinn (3 Gegentore gegen Panama), und ob wirklich alle Teamquerelen verschwunden sind, bleibt abzuwarten.
England Mit Spielführerin Leah Williamson, Mittelfeldantreiberin Fran Kirby und Torjägerin BethMead fehlen drei Stützen, die wesentlich zum EM-Triumph 2022 beigetragen haben. Doch individuelle Klasse und Teamspirit sind immer noch vorhanden. Die Abwehr muss erst mal überwunden werden, was bisher noch kein Team geschafft hat.
Niederlande Den Holländerinnen fehlt mit Miedema ihre beste Spielerin. Dennoch wussten sie größtenteils zu überzeugen und sicherten sich vor den USA den Gruppensieg. Der Halbfinaleinzug scheint nicht utopisch.
USA Ein Pflichtsieg gegen Vietnam, zwei Unentschieden gegen die Niederlande und Portugal – das ist wahrlich keine weltmeisterliche Bilanz. Gegen Portugal rettete gar der Pfosten den Titelverteidiger in der Nachspielzeit den Verbleib im Turnier. Doch jetzt werden die Karten neu gemischt, und die US Girls haben Siegeswillen und Selbstbewusstsein en masse. Allerdings sind Stars wie Rapinoe doch in die Jahre gekommen, und die Jüngeren in ihren Leistungen noch schwankend.
Australien Hier habe ich wegen des Heimvorteils vielleicht ein paar Bonuspunkte verteilt. Iorrunde kamen sie ohne ihren Superstar Sam Kerr aus, die jetzt hoffentlich wieder fit ist. Zumindest das Viertelfinale müsste drin sein.
Spanien Das Team begann souverän mit zwei klaren Siegen gegen Costa Rica und Sambia. Gerade das in der Deutlichkeit überraschende 0:4 gegen Japan lässt einige Fragen offen. Weltfußballerin Alexia Putellas ist nach überstandenem Kreuzbandriss längst noch nicht in Topform. Doch es gibt Spielerinnen wie die grandiose Technikerin Aitana Bonmati, die das ausgleichen können.
Schweiz Erst nach langem Schwanken habe ich die Schweiz hinter Spanien gesetzt. In der Nacht zum Samstag können sie mich im direkten Achtelfinalduell eines Besseren belehren. In der Defensive steht das Team der deutschen Trainerin Inka Grinks sehr sicher, doch auch hier hapert es am offensiven Spiel. Nur aufs Elfmeterschießen zu hoffen, dürfte dann doch zu wenig sein.
Kolumbien Maßgeblich für meine Einschätzung vor Norwegen und Dänemark ist die Partie gegen Deutschland und vor allem das Wunderkind Linda Caicedo, nicht nur wegen ihres Traumtores gegen Merle Frohms, dem vielleicht schönsten Treffer der WM. Technisch beschlagen sind sie, und ihr körperbetontes Spiel, manchmal auch über die Grenzen des Erlaubten, taugt nicht jedem.
Norwegen Nach zwei Partien standen sie mit 0 Toren und nur einem Pünktchen vor dem Aus, das sie allerdings mit einem überzeugenden 6:0 gegen Philippinien abwenden konnten. Sie verfügen über herausragende Einzelspielerinnen wie Ada Hegerberg und Caroline Hansen und eine kompakte Abwehr. Werden sie für Japan zum Stolperstein?
Nigeria Die Afrikanerinnen blieben in ihrer Gruppe unbesiegt – das allein spricht für sich. Insgesamt das beste Team aus Afrika, seit Jahrzehnten. Höhepunkt war natürlich das 3:2 gegen Gastgeber Australien. Zwei torlose Remis belegen die Stärken in der Abwehr und Schwächen im Spiel nach vorn, das Leitmotiv dieses Turniers.
Jamaika Drei Spiele kein Gegentor, immerhin gegen Branchengrößen Frankreich und Brasilien. Vorne allerdings herrscht Flaute, wenn sich nicht gerade England-Legionärin Bunny Shaw ein Herz nimmt. Ansonsten müssen die Reggae Girlz um Beistand von oben beten, was sie ja inbrünstig tun.
Dänemark Das erste Spiel gegen Neuseeland (0:1) war furchtbar. Klare Steigerung beim 0:1 gegen England und der Pflichtsieg gegen Haiti. Mir ist völlig unklar, welches Level die Däninnen erreichen können. Eine Pernille Harder hat vielleicht nicht mehr die große Klasse von früher, kann aber jederzeit einen Geistesblitz haben.
Südafrika Das 3:2, mit dem das Team die Italienerinnen aus dem Turnier kegelte, war die erste große Überraschung. Immerhin sechs Tore gelangen dem Team (bei sechs Gegentreffern); es ist damit der Gegenentwurf von so vielen Außenseitern, denen es allein auf die Defensive ankommt. Unterhaltsam anzuschauen war das allemal. Mal sehen, ob sie diese Taktik auch gegen Holland anwenden.
Marokko Es begann desaströs mit dem 0:6 gegen Deutschland, das die Marokkanerinnen mit zwei furchtbaren Abwehrfehlern einleiteten. Das Team fing sich und die Deutschen mit zwei 1:0-Erfolgen noch ab. Was jetzt kommt, ist nur noch Zugabe; das Halbfinale zu erreichen wie die Männer in Katar, scheint dann doch utopisch.
von Münchner Löwe | Aug. 4, 2023 | Frauen-WM, Fußball
Das Warnlämpchen blinkte kräftig am Tag vor dem Aus. Da kam nämlich der erklärte Mitfavorit um den alternden Weltstar Marta nicht über ein 0:0 gegen Jamaika hinaus; statt der Selecao zogen die Reggae Girlz ins Achtelfinale ein, was Reggae-Ikone Bob Marley auf seiner Wolke 7 im Himmel sicher sehr erfreut haben dürfte.
Es war schon lange klar: Es gibt keine Kleinen mehr, die Partie der Deutschen gegen Südkorea würde also kein Selbstgänger sein, und doch spürte man überall großen Optimismus, diese Hürde schon zu überstehen. Wie wir jetzt wissen, entpuppte sich diese Annahme als Irrtum und die Hürde als zu hoch.
Klar, mit ein bisschen Spielglück hätten die Deutschen gewinnen können, sogar gegen durchaus beachtliche Südkoreanerinnen, die viel besser spielten als in ihren beiden Spielen zuvor, als sie punkt- und torlos blieben. Aber eines war auffällig: Gegen gut verteidigende Mannschaften tut sich das deutsche Team extrem schwer. Spielerische Akzente oder gar fließende Kombinationen, die einen Abwehrverbund aushebeln können, sucht man vergeblich, und irgendwann klappt dann auch das bewährte Mittel „Flanke hoch in den Strafraum, Kopfball Popp“ nicht mehr nach Belieben, sondern war nur ein Mal erfolgreich – zu wenig, weil gleichzeitig Marokko recht überraschend gegen Kolumbien gewann und die Deutschen noch vom zweiten Platz verdrängte.
Und damit wären wir beim 6:0 zum Auftakt gegen eben dieses Marokko. Der hohe Sieg kaschierte die Schwierigkeiten, die die Mannschaft von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg auch in dieser Partie in der ersten Halbzeit hatte. Und es verdrängte die zum Teil furchtbaren Testspiele im Vorfeld der WM, als eben die Schwächen, die letztlich zum Aus führten, zu beklagen waren: eine wahrlich nicht sichere Innenverteidigung und mangelnde Kreativität und oft auch taktisches Unverständnis. Hier sind gewisse Parallelen zu den Männern unverkennbar. Das grundsätzliche Ausbildungssystem gehört längst auf den Prüfstand.
Bestimmt war das Voss-Tecklenburg nicht entgangen, aber trotz vieler Mahnungen fehlte es den Akteurinnen im zweiten Spiel gegen Kolumbien an Gelassenheit, die Spielerinnen wurden etwas übermütig. Statt in der Nachspielzeit das 1:1 zu halten, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fürs Achtelfinale gereicht hätte, drängte man mit aller Gewalt auf das Siegestor, das allenfalls Statistiker erfreut hätte, sonst aber ohne große Bedeutung gewesen wäre. Prompt fing sich das Team nach einem blitzsauberen Konter und abschließender Ecke ein völlig überflüssiges Gegentor und die Niederlage ein, was den Grundoptimismus allenthaben nicht wirklich etwas anhaben konnte. Oder war der beim Team nur gespielt?
Vielleicht wurde es den Spielerinnen nämlich auch alles zu viel: der Hype um das Team, die – immer noch für viele ungewohnt – riesige mediale Aufmerksamkeit. Und nicht zuletzt die Bitte, ja Aufforderung, die „Mädels“ mögen doch bitte den deutschen Fußball retten nach dem deprimierenden Vorrunden-Aus der deutschen Männer vor gut einem halben Jahr in Katar und vier Jahre zuvor in Russland, das damals ebenfalls im entscheidenden Spiel gegen eine südkoreanische Mannschaft besiegelt wurde. Die unglaubliche Nervosität vor allem zu Beginn der Südkorea-Partie mag ein Beleg dafür sein.
Was jetzt unbedingt notwendig ist: eine seriöse Aufarbeitung, was in Australien schlechter lief als vor einem Jahr bei der EM, als das Team erst im Endspiel von England im Wembleystadion geschlagen wurde. Das grundsätzliche Können und auch die zunehmend professionellen Strukturen in den Vereinen sind ja vorhanden, wie der Finaleinzug bei der EM vor einem Jahr auch der Einzug des VfL Wolfsburg ins Champions-League-Finale beweist. Die Wölfinnen stellten ja einen Großteil der Mannschaft. Für die Verantwortlichen gilt es jetzt, bei aller berechtigten Kritik nicht alles in Bausch und Bogen zu verdammen. Gerade Fußball wird, wie kaum eine andere Sportart, von Unwägbarkeiten, ja Zufälligkeiten beeinflusst. Ein Pfostenschuss hier, ein knappes Abseits dort – und schon sieht die Sache ganz anders aus – man frage die die Unglücksrabin aus Portugal, die in der Nachspielzeit gegen die USA nur den Pfosten traf, der das Aus des Titelverteidigers verhinderte. Andererseits sich nur auf das beliebte „hätte, wenn …“ oder Verletzungspech berufen, ist der Sache nicht dienlich. Hier ist der DFB gefragt, und man kann nur hoffen, dass er jetzt ein besseres Krisenmanagement führt als nach dem Männer-Desaster in Katar. Die schon geäußerte Selbstkritik von Voss-Tecklenburg, ist dabei ein erfreuliches erstes Zeichen. Ob sie dann wirklich die radikale Konsequenz zieht und ihren Hut nimmt, werden die nächsten Tage und Wochen zeigen.
Vielleicht ebbt der Hype jetzt etwas ab, der vielen auf den Geist ging, die mit Frauenfußball immer noch nichts anfangen können und jetzt mit Wonne lästern. Schade wäre es allerdings, wenn das Grundinteresse, das in den vergangenen Jahren auch hierzulande kontinuierlich stieg, abflauen würde. Das Spiel der Frauen wird immer attraktiver, das zeigte und zeigt die WM, die jetzt in die entscheidende Phase einbiegt. Wenig nützlich sind dabei allerdings die ewigen Vergleiche mit den Männern; die Frauen spielen ihr eigenes Spiel – und das ist (meistens) gut so, wenn auch nicht fürs deutsche Team im australischen Winter.
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