Ich hatte Lindsey Vonn in meiner Vorschau wirklich nur vergessen: die beste Abfahrerin aller Zeiten. Spätestens nach dem unglaublichen Rennen am Freitag im sonnenunüberfluteten St. Moritz dürfte sie auch die letzten Zweifler überzeugt haben. Am Ende einer ansonsten extrem engen Abfahrt hatte sie sage und schreibe 0,98 Sekunden vor der Überraschungs-Zweiten Magdalena Egger und gar 1,16 auf Miri Puchner (beide Österreich). Um die unfassbare Dominanz von Vonn zu verdeutlichen: Zwischen der Zweiten Egger und der 20. Ester Lehecka lagen insgesamt auch nur 1,22 Sekunden.
Das märchenhafte Comeback, das Vonn im vergangenen Jahr mit damals 40 anstrebte, ist damit vollendet.
Das Ganze wurde von vielen sogenannten Experten als Scherz aufgefasst, Vonn als geltungsdsüchtige Idiotin beschimpft und verunglimpft, die sich auf der Piste zum Narren machen und 10 Sekunden hinterherfahren würde. Eine absolute Unverschämtheit, nicht wahr, Herr Wasmeier und viele Schweizer Größen (Urs Lehmann?). Schon in der vergangenen Saison hatte Vonn tolle Ergebnisse (unter anderem ein 2. Platz in Kvitfjell), aber erst jetzt ist sie wieder in der unschlagbaren Lindey-Vonn-Abfahrts-Form. Eine echte Entschuldigung der sog. Experten war nicht zu vernehmen oder habe zumindest ich nicht vernommen.
Vonn fährt mit einem künstlichen Kniegelenk. Ein großes Risiko, denn bei einem schweren Sturz (in der Abfahrt immer möglich) würden die Knochen drumherum bersten, schaudert es Medizinern; es bestehe dann die Gefahr einer Komplett-Amputation. Doch der Amerikanerin scheint das Risiko bewusst, geht gar nicht auf hundert Prozent, wie sie heute nach dem Rennen zwischen Freuden-Weinkrämpfen behauptete. Für die Konkurrenz bedeutet das nichts Gutes, zumindest wenn es um den Platz ganz oben auf dem Stockerl geht. Wobei natürlich auch der Vonn nicht jeder Lauf so aufgehen wird wie dieser bei besten Bedingungen auf der Corviglia.
Die Deutschinnen schlugen sich prächtig. Als Emma Aicher mit Nummer 13 auf Platz 1 raste, glaubte ich fest an einen Podestplatz. Sie wurde dann aber hintereinander von Miri Puchner, Sofia Goggia und eben Vonn nach und nach verdrängt und wurde letztlich Fünfte. Angesichts der Tatsache, dass sie auch die beschwerliche US-Tour mit 4 Rennen in Nordamerika auf sich nahm, ist diese Leistung nicht hoch genug einzuschätzen, zumal auf Platz 2 nicht mal eine halbe Sekunde fehlte. Auch Kira Weidle-Winkelmann dürfte mit ihrem 8. Platz zum Saison-Auftakt (nur 6 Zehntel hinter Rang 2) zufrieden sein.
Ein Debakel erlebten die Schweizerinnen. Als Beste kam Marjorie Blanc auf Rang 13. Es dürfte ein langer Winter für die Speedfrauen werden, weil die Besten Lara Gut-Behrami (Kreuzbandriss) und Michelle Gisin (schwerer Sturz im Trainingslauf) die ganze Saison abschreiben müssen. Der Nationen-Cup gegen die gut aufgestellten ÖsterreicherInnen (fünf kamen in St. Moritz unter die besten 11) dürfte schon verloren sein. So viele Punkte kann ein Marco Odermatt gar nicht gutmachen.
Fazit: Ein wunderbares erstes Speedrennen bei den Frauen. Schon morgen steht auf derselben Piste die 2. Abfahrt an und am Sonntag der Super-G. Und sogar wenn Vonn ihren Triumph nicht wiedeholen sollte: Ihr Comeback ist märchenhaft geglückt. Markus Wasmeier et all Kritiker: Schämen Sie sich und bitten Lindsey, aber alle Skifans um Entschuldigung für ihre Macho-Expertise!
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