Es stand zu befürchten: Frauke Brosius-Gersdorf hat den Druck auf ihre Person nicht mehr ausgehalten und hat ihren Rückzug als Kandidatin bekannt gegeben. Ihre Begründung lautet unter anderem: Sie wolle die Regierung nicht belasten mit ihrer umstrittenen Personalie und auch nicht das Amt des Verfassungsgerichts. Außerdem wurde der Druck auf ihre Person mit Beleidigungen weit unter der Gürtellinie offenbar unerträglich, und auch ihr Ruf als exzellente Juristin hat großen Schaden erlitten, weil das Gehetze und Geraune auch um ihre Doktorarbeit kein Ende nehmen wollte.
Das Statement im Wortlaut:
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/frauke-brosius-gersdorf-so-begruendet-die-juristin-ihren-verzicht-a-0fd8e20a-ad80-4640-bf0f-8b557a4bb9d2

 

Die Schande der Union

 

Dass die Diskussion um Frauke Brosius-Gersdorf so eskaliert ist, liegt einzig und allein am geradezu schamlosen Verhalten der Union. Allen voran Fraktions-Chef Jens Spahn, der eine Mehrheit versprach bei der Wahl vor knapp einem Monat, dieses Versprechen aber nie halten konnte. Zum einen, weil der Egomane völlig unfähig ist zur Menschenführung, zum Zusammenführen auch unterschiedlicher Meinungen. Weil er auch wegen seines ans Kriminelle grenzenden Versagens in der Maskenaffäre viel Zeit damit verbrachte, seine eigene Haut zu retten.
Oder, meines Erachtens viel wahrscheinlicher: Er hat die kritische Stimmung in der Fraktion gegen Frauke Brosius-Gersdorf wohl erkannt, aber die Wahl mit Absicht und aus purem Eigennutz torpediert. Um den rechten Flügel in Fraktion und Parteien (CDU und CSU) zu stärken und das erste Signal zu geben, dass dieser rechte Teil, der immer weiter nach rechts wandert (Saskia Ludwig!) sehr gerne mit der AfD zusammenarbeiten, wenn nicht gar eine Koalition eingehen würde. Mit ihm als sehr wichtiger Person, als Kanzlker oder Vizekanzler.

Mindestens genauso versagt hat Parteichef Friedrich Merz. Dem der Fall Brosius-Gersdorf völlig egal war (wie überhaupt die Niederungen der Innenpolitik ihm ziemlich gleichgültig zu sein scheinen). Merz ist mit der Kanzlerschaft am Ziel seiner Träume, jetzt kann er den starken Außenpolitiker mimen (mit mäßiegm Erfolg). Allein die Tatsache, dass er den ultrarechts denkenden selbstbezogenen Spalter Spahn zum Fraktionsvorsitzenden (der eigentlich einen soll) beförderte, zeigt, wes Geistes Kind Merz selbst ist. Die gemeinsame Abstimmung im Januar mit der AfD war natürlich kein Zufall, sondern ein rechter Versuchsballon, der dann allerdings (noch?) nicht besonders gut ankam).

Schamlos auch jene Unioner, die „aus Gewissensgründen“ eine Wahl von Brosius-Gersdorf zur Verfassungsgerichtsrichterin ablehnten. Klar, sie vertritt gerade in der Abtreibung und was das AfD-Verbot betrifft Positionen, die denen der Union widersprechen mögen. Aber genau das ist die Stärke des höchsten Gerichts und macht das hohe Ansehen auch in der Bevölkerung aus: Dass hier eine heteregogene Masse an höchstfähigen Juristen in der Sache diskutieren: im Idealfall nur dem Grundgesetz und den daraus folgenden Leitlinien verpflichtet und nicht irgendeinem Parteibuch.

Zudem bewegt sich Brousius-Gersdorf mit ihren Ansichten (Abtreibung soll in den ersten 3 Monaten per se rechtmäßig sein, AfD-Verfahren, wenn es Gründe dafür gibt) wahrlich nicht im radikalen Gebiet, wie ihr vorgeworfen muss, sondern im allgemeinen Konsens, in Jurisprudenz und auch in der Gesellschaft. Vor allem aber hat sie im vergangenen Monat gezeigt, dass es ihr um die juristische Sache geht und sie höchstwahrscheinlich nicht ewig verbohrt an ihren Ansichten festhält. Was wäre sie eine Bereicherung gewesen für Karlsruhe, für fruchtbare Diskussionen dort; froh können dagegen alle Potsdamer StudentInnen sein, wo sie jetzt weiter lehrt.

Zu schlechter Letzt bleibt auch das Verhalten jeder Unionisten zu hinterfragen, die mit der Personalie Brosius-Gersdorf als Verf.-Richterin zumindest offiziell offenbar keine Probleme gehabt hätten, die die Wahl mitgetragen hätten. Nach allem, was ich gelesen habe, gab es „nur“ 50, höchstens 100 AbweichlerInnen, also nicht mal die Hälfte der Fraktion. Wo waren die Stimmen der anderen? Wo waren vor allem diejenigen aus dem Wahlausschuss (5 aus der Union!), die ihre Wahl guthießen? Sie schweigen dröhnend, haben es also zugelassen, dass eine Minderheit ihrer Fraktion bestimmte, wo es langgeht. Aber wie schrieb schon Erich Kästner: „An allem Unrecht, das geschieht, ist nicht nur der Schuld, der es begeht, sondern auch diejenigen, die es geschehen lassen.“

 

Das Versagen der SPD

 

In ihrem beachtenswerten und höchst respektablen Statement zum Rückzug hat sich Brosius-Gersdorf ausdrücklich für den Rückhalt der SPD bedankt, die sie bis zuletzt unterstützt habe. Bei Lichte betrachtet war diese Unterstützung allerdings nicht genug. Die SPD hatte weder die Kraft noch den Willen, diese ihre Wahlentscheidung mit letzter Entschlossenheit durchzudrücken. Sie fand kein Mittel gegen die nicht nachlassenden Beleidigungen des rechtsradikalen Mileus, kein Mittel gegen den Versager Spahn und dessen rechte Getreue. Sie scheute davor zurück, die Wahl ihrer Kandidatin zum Lackmustest der Koalition zu machen. Teils aus Anständigkeit und um des Koalitionsfriedens willen, teils natürlich aus purer Machtgier. Um weiter in der Regierung zu bleiben, ist Parteichef Lars Klingbeil praktisch jedes Mittel recht, was bedeutet da schon eine Personalie des höchsten deutschen Gerichtes? Um es noch mal zu betonen: „Schuld“ am Desaster trägt einzig und allein die Union, aber die Verteidigung der SPD war halt nur halbherzig und letztlich inkonsequent.

 

Das Kuschen der Medien

 

Über die indiskutablen Fake News rechtsradikaler AfD-Blätter wie Nius und auch der Springer-Hetzer will ich mich gar nicht mehr auslassen. Aber gerade die Medien, die Frauke Brosius-Gersdorf eigentlich wohlgesonnen sind, tragen eine nicht unerhebliche Mitschuld, dass die Juristin letztlich hingeschmissen hat. Was habe ich mich vor Wochen über Kommentare in der „Zeit“ und in der „SZ“ geärgert, die Brosius-Gersdorf den Rückzug nahegelegt haben, um vermeintlich größeren Schaden von der Republik abzuwenden. Anstatt sich vorbehaltlos auf ihre Seite zu stellen, und ihre schamlosen KritikerInnen (Doro Bär, Markus Söder, Saskia Ludwig et all) bloßzustellen. Es mag verständlich sein, wenn die SZ-Autorin sachlich bleibt und vielleicht sogar vernünftige Gründe für einen Rückzug anführt. aber wenn der „Gegner“ ein derart schmutziges, unanständiges Spiel spielt, muss man halt ein bisschen drastischer werden und Spahn eben als völlig „untragbar“ bezeichnen.
Wohin das „Sachlich-bleiben“ führt, sehen wir gerade in den USA. Donald Trump lügt und betrügt fortwährend, und die Demokaraten wussten und wissen nichts dagegen vorzubringen. Gleiches ist jetzt hier zu befürchten. Der rechte Mob hat gesiegt (siehe das ekelhafte Triumphgeheul bei Nius und der Springer-Hetzer). Was hindert die Union, dieses gleiche schmutzige, unmoralische Spiel wieder und wieder zu spielen?, bis sie „ihr“ Verfassungsgericht beisammen hat. Der Supreme Court und dessen entsetzliche Verhältnisse ist offen das Ziel, egal mit welchen Mitteln.

 

Das traurige Fazit

 

  1. Eine sehr fähige Juristin wurde aus unsachlichen (sehr harmloses Wort für diese Hetzjagd) Gründen ums Amt einer Verfassungsrichterin gebracht. Sie musste ungeheuerliche Beleidigungen von Kirche und dem rechtsradikalen Mob inklusive großer Union-Teile ertragen und es bleibt zu hoffen, dass sie ihre Lehrtätigkeit ohne nachhaltigen Schaden fortführen kann. Aber das Ganze wird sie nicht so einfach aus den Kleidern schütteln können wie einen Sandausflug ans Meer.
  2. Der recht(sradikal)e Mob der Union hat gesiegt. Wie groß der Anteil derer tatsächlich ist, der lieber heute als morgen eine Koalition mit der AfD statt SPD eingehen will, vermag ich nicht zu sagen. Aber die rechte Saat ist angelegt, zum Teil schon aufgegangen: Schwarz-blau (oder gar blau-schwarz?) scheint nur eine Frage der Zeit. Böse gesagt bleibt aber anzumerken: Viel schlimmer als dieser Kanzler und dieser lächerliche bayer. Ministerpräsident kann es kaum werden. Und wie schnell eine Partei ganz nach rechts abdriftet, sehen wir bei den Republikanern in den USA.
  3. Die SPD muss sich ernsthaft hinterfragen: Koalition um jeden Preis oder doch das Bewahren des Urkerns der Partei und sei es zum Preis, in die Opposition zu gehen zu müssen? Ein erstes Indiz wird die Auswahl von der nächsten Kandidatin sein (Union-kompatibel oder doch eigenständig).

 

So viel dann auch zu meinem Plan, dass dieser Blog unpolitisch bleiben soll.