Eine Hommage an Grigor Dimitrow

Es war eine Tennis-Demonstration an Klasse und gleichzeitig Ästhetik, wie ich sie lange nicht mehr gesehen habe. Im Viertelfinale von Miami bezwang Grigor Dimitrow Wimbledonsieger Carlos Alcaraz nicht nur, er zerlegte ihn geradezu nach allen Regeln der Tennis-Kunst. Traumschläge en masse begeisterten das Publikum, obwohl dieses auf Seiten des Spaniers stand. Geradezu unglaubliche Bälle gelangen ihm wie dieserÜberkopf-Volley-Rückhand-Stop, der in der Ausführung mindestens so kompliziert ist, wie er klingt und unerreichbar für den nicht gerade langsamen Alcaraz in dessen Feld tropfte. Beispiele gefällig
https://www.youtube.com/watch?v=ttRduKEL580
Und eines zeigte sich: Wenn die einhändige Rückhand so funktioniert wie dese Nacht in Miami, dann ist sie nicht nur eine extrem wirksame Waffe, sondern der am schönsten anzuschauende Schlag im Tennis. Schade, dass immer weniger Spieler, von Spielerinnen ganz zu schweigen, auf sie vertrauen. Sie hätten so tolle Vorbilder wie Stefan Edberg, Roger Federer, Stefanie Graf und Justine Henin.
Nun hat Tennis die ärgerliche Pointe, dass man bis zuletzt konzentriert bleiben muss, um eine Partie auch nach Hause zu bringen. Sprich: Die Zählweise erlaubt wie wenige andere Sportarten dramatische Comebacks; die Tennisbücher sind voll von derlei epischen Dramen. Auch die Partie heute Nacht hätte durchaus kippen können, als Dimitrow im 2. Satz Breakbälle zum 5:1 vergab, danach sein Aufschlag zu Null verlor, und es plötzlich 4:4 stand. Doch Dimitrow riss sich zusammen, spielte umgehend wieder auf dem vorigen Niveau und nutzte den ersten Matchball. Alcaraz blieb nur ungläubiges, aber sehr anererkennendes  Staunen („was zum Teufel hast Du da für ein Tennis gespielt“) und gratulierte ohne Ärger. Es gibt Tage, da bleibt nur anzuerkennen, dass der andere schlicht besser gespielt hat., also wenig Grund zum Ärgern und Hadern.

Grigor Dimitrow entzückt seit seinen jungen Jahren. Der Bulgare sei der designierte Nachfolger von Roger Federer, bescheinigten ihn viele Experten. Nahe dran kam er an die schier nicht nachzuahmende Tennis-Leichtigkeit des Schweizers, und immerhin gewann er 2008 das Junioren-Turnier in Wimbledon und New York. Doch die ganz große Karriere sollte nicht gelingen. Der eine Grund war, dass er seine beste Zeit  ausgerechnet da hatte, wo die Großen Drei Federer, Nadal und Djokovic die Tennis-Welt beherrschten, erst recht die Grand Slams.Das hat er mit Größen wie Tsonga, Berdych und Tommy Haas  und vielen anderen gemein, die ohne Grand-Slam-Sieg blieben Immerhin gelangen ihm 9 Turniersiege, der wichtigste war das ATP Final 2017 in London und der Sieg beim Masters ebenfalls 2017 in Cincinatti. Das war eh sein bestes Jahr mit insgesamt 4 Turniersiegen; er beendete es als Weltranglisten-Dritter. Danach fiel er durch Verletzungen und auch eine gewisse Unlust weit zurück, doch seit gut zwei Jahren geht es wieder steil aufwärts. Im November 23 wurde er beim Hallen-Masters in Paris erst im Finale von Djokovic gestoppt,diesen Januar gewann er zum zweiten Mal in Brisbane.

In der Weltrangliste ist er zurzeit Elfter, mit einem Sieg heute Abend gegen Sascha Zverev würde er in die Top Ten zurückkehren. Im Race zum ATP Final, also die Jahreswertung, ist er Sechster und würde mit einem Turniersieg auf Platz 4 vorstoßen und immerhin einen Alcaraz hinter sich lassen.