Gestern war ich wirklich verstört, als ich las, dass Luis Rubiales, Chef des spanischen Fußball-Verbandes, aus dem Kuss-Gate nach dem spanischen WM-Triumph tatsächlich die Konsequenz ziehen würde und zurücktreten werden. Kann das wirklich sein? Ein hochstehender Sportfunktionär zieht sich tatsächlich wegen eines Fehlverhaltens, das fünf Tage den WM-Sieg von La Roja fast überdeckte, zurück? https://web.de/magazine/sport/fussball/wm/skandal-wm-finale-verbandspraesident-rubiales-kuesst-hermoso-mund-38547524

Heute bin ich dagegen sehr beruhigt. Luis Rubiales denkt überhaupt nicht daran zurückzutreten. Wo kämen wir denn da hin, freiwillig aus dem Licht der Öffentlichkeit zu verschwinden, auf Ruhm, Ansehen (naja, das war schon vorher reichlich angekratzt), Privilegien aller Art und viel Geld zu verzichten. Dabei war doch nichts weiter passiert, als dass ein Mann eine Frau ungefragt auf den Mund geküsst hat. Passiert doch andauernd, und im Überschwang des Glücks, muss man das doch dürfen, meint der stolze Senor. „Das mache ich bei meinen Töchtern auch andauernd. Ich trete nicht zurück. Ich kämpfe bis zum Ende.“ Natürlich ganz uneigennützig, denn wie werden verweigerte Rücktritte nicht nur im Sport so gerne begründet? „Ich will mich nicht aus der Verantwortung stehlen.“

Und weil Señor Rubiales so schön in Fahrt war, benannte er die wahren Schuldigen, wie es so viele vor ihm getan haben. Es sind natürlich die Medien. „Hier geht es nicht um Gerechtigkeit, sondern um eine soziale Hinrichtung“, sagte Rubiales. Es sei doch ein einvernehmlicher Kuss gewesen.

Da ließ er vornehm beiseite, der Gentleman genießt und schweigt, dass sich das Kussopfer Jenni Hermoso sich alles andere als wohlgefühlt hat beim Kuss auf dem Mund und nachdrücklich strenge Konsequenzen forderte. Allein das Hin und Her um die Aussagen der Nationalspielerin war ein Trauerspiel. Zuerst die leichte Beschwerde, dann ein Statement, dass alles nicht so schlimm sei (wobei sich hier hartnäckig das Gerücht hält, dass sie derlei nie selbst gesagt hat) und dann die unverhohlene Forderung nach dem Rücktritt. Diese äußerte praktisch expressis verbis auch die spanische Regierung. Aber das stört den stolzen Spanier nicht. „Man wollte mich öffentlich ermorden“, klagte Rubiales.

Immerhin: Für einen weiteren Fauxpas unmittelbar nach dem Schlusspfiff des Finales, entschuldigte er sich. Praktisch unmittelbar neben seiner Königin und deren Tochter hatte er sich ans Gemächt gefasst, um seiner Freude Ausdruck zu verleihen. „Ich war so emotional, dass ich meine Kontrolle verloren habe.“

Auch wenn Rubiales einen freiwilligen Rücktritt ablehnt, es ist nicht sicher, ob er im Amt bleiben darf. Der Verband hat eine Untersuchung gegen den eigenen Chef angekündigt, allein diese Tatsache ist bermerkenswert. Sogar die FIFA will ermitteln. Torwart-Ikone Iker Casillas nannte das Verhalten „zum Fremdschämen“. Aber vor allem der Gegenwind der mächtigen spanischen Liga in Person von Javier Tebas dürfte nicht so leicht vom Tisch zu bekommen sein. „Beleidigungen, Angeberei, Erpressung, Drohungen, Spionage und Verfolgung, betrügerische Nutzung von Verbandsorganen, wir leiden unter vielem und haben vieles angeprangert. Die Liste der Frauen und Männer, die in diesen Jahren von Luis Rubiales geschädigt wurden, ist zu lang und das muss aufhören“, schrieb Tebas auf X. „Es ist unmöglich, sein frauenfeindliches und verabscheuungswürdiges Verhalten einer absurden Verschwörung zuzuschreiben, wenn der Rufschaden für den gesamten spanischen Fußball bereits unvermeidlich ist“, fügte Tebas hinzu.

Wie gut für Rubiales, dass es noch Fürsprecher gibt wie Kalle Rummenigge. „Ich glaube, man soll da nicht übertreiben und die Kirche im Dorf lassen“, sagte der Ex-Nationalspieler und Bayerns Aufsichtsratsmitglied.  Der WM-Titel emotionalisiere schließlich jeden, „und was er da gemacht hat, ist – sorry, mit Verlaub – absolut okay.“ Rummenigge https://www.t-online.de/sport/fussball/frauenfussball/wm/id_100229458/aussagen-von-rummenigge-zum-kuss-eklat-bei-wm-das-kann-nicht-sein-ernst-sein-.html folgt dabei nur Beckenbauer, der sang. „Echte Freunde kann niemand trennen.“ Und da steht man eben den guten Kumpel bei, den man in verschiedenen UEFA-Gremien, wo Frauen eh praktisch nix zu suchen haben, schätzen gelernt hat, und nimmt auch den folgenden Shitstorm gerne in Kauf.

Was ist gegen das Statement eines Weltmannes vom Schlage Rummenigge dagegen die Rücktrittsankündigung eines spanischen Nationalspielers. Borja Iglesias (!) stehe erst wieder zur Verfügung, „wenn derartige Vorfälle nicht mehr straflos bleiben“. Ganz im Ernst: Es wäre sehr schön, wenn Iglesias noch weitaus prominentere Mitstreiter folgen würden.

Erwartet wird ein gemeinsames Statement der Nationalspielerinnen, nachdem sich Weltfußballerin Alexia Putellas („Das ist unakzeptabel“) schon geäußert haben. „Se acarbo“ (Das wars), lautet das Motto. Doch so einfach wird es nicht sein im vom Machismo triefenden Verband.