Eigentlich wollte ich zum Fall Boateng rein sportlich argumentieren und die Vorwürfe der Körperverletzung, die er gegen seine Ex-Freundin begangen haben soll, außen vor lassen. Aber nachdem in den Medien die Bayern dermaßen verurteilt werden, Boateng auch nur mittrainieren zu lassen, möchte ich doch meine Gedanken dazu zusammenfassen. Es wird ein bisschen provokant, und ich lasse mich gerne auf eine Diskussion ein.

Vorausschicken möchte ich, dass ich Gewalt gegen Frauen verabscheue und den Strafrahmen für derlei Taten, wenn es denn zu einer Verurteilung kommt, was selten genug der Fall ist, als viel zu niedrig ansehe. Das gilt im übrigen für alle Körperverletzungen, aber einen juristischen Diskurs möchte ich hier nicht führen, obwohl der sehr interessant werden könnte …

Die Fakten: Jerome Boateng wurde in zwei Instanzen für schuldig befunden, seine Freundin brutal misshandelt zu haben. Dieses Urteil wurde gerade vom Oberlandesgericht München wegen eines Formfehlers kassiert und der Fall an eine andere Kammer zurückgewiesen. Moniert wurde unter anderem, dass entlastende Anführungen nicht oder zu wenig berücksichtigt wurden und dass der Richter über einen Befangenheitsantrag gegen ihn selbst entschieden hat.. Boateng ist also nicht rechtskräftig verurteilt und hat demnach als unschuldig zu gelten. Im April soll die neue Verhandlung stattfinden. Übrigens hat auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt, sie sieht sogar eine gefährliche Körperverletzung. Die Strafe könnte noch höher ausfallen.

Jetzt stellt sich die Frage: Darf der FC Bayern angesichts der Vorwürfe, die ziemlich konkret und auch konkludent vorgetragen wurden, Boateng ins Team integrieren, womöglich verpflichten? Ein erster Impuls sagt nein, unter keinen Umständen. Und gerade ein FC Bayern hat doch eine Vorbildsfunktion. Spinnen wir diese Argumentation allerdings weiter, bedeutet das quasi ein Berufsverbot für Boateng, ich setze in diesem Fall Bayern mit allen anderen Vereinen gleich. Das ist noch nicht einmal bei einer rechtskräftigen Verurteilung im Sinne des Erfinders und des Gesetzgebers, also erst recht nicht davor.

Rechtlich gibt es nicht die leisesten Bedenken, dass die Verpflichtung von Boateng statthaft ist. Aber wie sieht es mit der Moral aus? Den Bayern wird ja vorgeworfen, alle moralischen Bedenken um des sportlichen Erfolges Willen über Bord zu werfen. In der Tat haben sie sich die Verantwortlichen nicht gerade glücklich geäußert, denn natürlich ist der Fall Boateng, der hohe Wellen schlug, nicht sein privates Ding, und die Verhandlung im April wird auch öffentlich sein.

Aber wie wäre es, wenn man genau andersrum argumentieren würde – und zwar ungefähr so. Bei uns hat sich Boateng nie etwas zu Schulden kommen lassen, er war stets zuvorkommend und beliebt bei der ganzen Mannschaft. Warum sollen wir ihn nicht bei uns aufnehmen, zumal er sich in den vergangenen zwei Jahren vorbildlich verhalten hat?  Dann müssen die Verantwortlichen eben abwägen, ob sie mit der öffentlichen Kritik leben können, die mE weit über das Ziel hinausschießt (natürlich wurden wieder die Fälle Hoeneß/Rummenigge ins Feld geführt). Das ist sehr heikel, erst recht wenn dann der Prozess tatsächlich ansteht. Mir persönlich wäre das Risiko zu hoch aufgrund des zu erwartenden Ballyhoos auch noch in der entscheidenden Phase der Saison, aber wenn die Bayern damit leben können …

Es werden ja auch die Spieler gar nicht so zwischen den Zeilen angeprangert, dass sie sich zum Fall Boateng nicht äußern wollen. Dabei ist das das Klügste, was sie tun können. Intern werden sie den Fall schon diskutieren und ob sie ihn dabei haben wollen oder nicht.

Ich persönlich sähe Boateng, wenn die Vorwürfe auch gerichtsfest zutreffen, am liebsten im Gefängnis, aber das gibt der Gesetzgeber halt nicht her. Doch wenn die Strafe verbüßt ist, dann hat Boateng wie jeder andere auch jedes Recht, wieder Arbeit, also einen Fußballverein, zu finden, und jeder Arbeitgeber, also die Vereine, jedes Recht, ihn wieder aufzunehmen und wieder einzugliedern. Boateng steht mit seinen 35 Jahren am Ende seiner Karriere. Aber soll ein sagen wir 23-Jähriger in einem ähnlich gestrickten Fall wirklich seine Karriere beenden müssen?