Ich nehme traurig Abschied

Es ist mir unmöglich (und ich will es gar nicht), dass ich hier über jeden verstorbenen Sportler (Menschen) ein paar Zeilen finde. Aber jene, die mir viel bedeuteten (vor allem auch in meinen jungen Jahren), möchte ich länger würdigen

 

Der kleine Gstumperte mit dem Zug, dass es nur rauscht

 

Autogramme von berühmten Persönlichkeiten haben mich nie interessiert. Aber jenes des Klaus Wolfermann hatte ich. (Ein)gesammelt beim sogenannten Olympischen Tag im Herbst 1972 in einem vom Regen durchweichten Oktavheft (gibt es sowas überhaupt noch?). Dort verewigte (naja, die Zeit des Oktavhefts war endlich, fürchte ich) er sich mit seinem Schriftzug zusammen mit Hildegard Falck, der 800-Meter-Olympiasiegerin. Meine Schwester hatte dann zu Weihnachten 7 große Olympia-Plakate bekommen (ich nur eines von Gerd Müller, seufz). Und da hing er in all seiner Schönheit, naja, neben Ulrike Meyfahrt, Heide Rosendahl, Mark Spitz, Shane Gould und zwei Vergessenen. Leider sind auch diese diversen Umzügen zum Opfer gefallen.

Falck und Wolfermann waren im Sommer 72 Olympiasieger geworden, am selben Tag (3.September), fast zum selben Moment: am Goldenen (auch noch Sonntag)-Nachmittag der (bundes)deutschen Leichtathletik im Münchner Olympiastadion, weil auch Geher Bernd Kannenberg über 50 Kilometer triumphierte. Zwei Tage vor dem schrecklichen Attentat hätte die  Stimmung heiterer und ausgelassener unterm Zeltdach nicht sein können. Der fürchterliche 5. September: Mit einem von den Palistinensern ermordeten Israeli, dem Gewichtheber Josef Romano, war Wolfermann gut bekannt; er hatte mit ihm Tage zuvor im Kraftraum trainiert.

Der Speerwurfsieg von Klaus Wolfermann war eine Sensation, denn es gab zu dieser Zeit einen unschlagbaren Russen (eigentlich Letten): Janis Lusis, der seit seinem Olympiasieg 68 in Mexiko keinen einzigen Wettkampf verloren und gerade einen fantastischen Weltrekord aufgestellt hatte. Wolfermann, für einen Speerwerfer eher klein und gedrungen und mit viel zu kurzen Armen („ich war der kleine Gstumperte“), schleuderte im 5. Durchgang den Speer auf bis dato für ihn unerreichte 90,48 Meter („Ich hatte einen Zug, dass es nur so rauscht“). Lusis war beeindruckt, warf entnervt einen Apfel zu Boden hatte aber  noch einen Wurf zum Konter. Der 6. Versuch war seine Spezialität. ich habe die Radioreportage (auf Platte leider verschollen) noch immer im Ohr. (“ …und er wirft ihn hoch und weit“) … dann das lange Warten (Platte: knisternde Spannung, daher kommt das also), ob es gereicht hat. Die Weitenrichter maßen (hoffentlich richtig) 90,46; der kleinstmögliche Abstand, da damals die Weiten noch im 2-Zentimeter-Abstand gemessen wurden, der Himmel weiß, warum. Jetzt sprang Klaus Wolfermann wie wild umher (wenn denn jemals die Bezeichnung „Wie ein Flummi“ zutreffend war, dann damals bei diesem kompakten auf und ab hüpfenden Energie-Bündel).
Das schönste an dieser Geschichte: Wolfermann entschuldigte sich fast bei dem großen Janis Lusis, und der sagte: Macht doch nichts, ich habe ja schon Gold. Danach (auch schon zu Zeiten des Kalten Krieges) wurden ohnehin schon guten Bekannten enge Freunde fürs Leben bis zu Lusis‘ Tod 2020, zu dem Wolfermann ergreifende Worte fand, er es aber wegen Corona nicht zur Trauerfeier nach Lettland schaffte.

Der gebürtige Endorfer war aber beileibe kein One-Hit-Wonder. 1973 stellte er einen Weltrekord auf mit 94,08 Meter, eine Marke, die ewig lange Deutscher Rekord bleiben sollte. Wenn ich mich nicht irre, wurde diese Marke in der Bundesrepublik nie verbessert bis zur Neuausrichtung des Speers 1986. Zu Olympia in Montreal 1976 konnte er wegen einer Ellenbogen-Verletzung (kein Zug mehr im Arm) nicht starten.
2022 anlässlich der European Games in München trat Wolfermann noch mal ins Scheinwerferlicht. Der immer schon lichte Haarkranz war fast gänzlich verschwunden, der schwarze Vollbart in Ehren ergraut und nicht mehr so dicht. Geblieben war das listig-freundliche Lächeln und der bayerische Dialekt, mit denen er auf sein Gold 1972 zurückblickte. Das ihn berühmt machte, und weshalb er es in mein Oktavheft schaffte (naja).

Jetzt ist Klaus im Alter von 78 Jahren gestorben. Er wird sehr fehlen

RIP, Klaus Wolfermann