Schröder macht den Deckel drauf

„Deutschland wird Basketball-Europameister!“, habe ich in der vergangenen Woche vor den Viertelfinali in Riga hier etwas wagemutig geschrieben. Und der Weltmeister von 2023 ist seiner Favoritenstellung (nicht nur bei mir) gerecht geworden. In einem extrem spannenden Finale setzte sich das Team gegen die Türkei durch. Für schwache Nerven war es jedenfalls nichts, ehe der 88:83-Triumph feststand.
Zum Matchwinner (besser gesagt: zum Helden der entscheidenden Phase) avancierte der Kapitän: Dennis Schröder übernahm Verantwortung, als es drauf ankam. Er hatte die so oft beschworenen „Eier, Cojones, Balls“; Wahrlich nicht alles war dem NBA-Profi zuvor gelungen. Doch die letzten Körbe besorgte der Braunschweiger unter anderem mit einem unwirklichen Korbleger übers Brett und hoch gegen den gut 20 Zentimeter größeren Alperen Sengün. Zuvor hatte er sich einige Fehler geleistet, unter anderem gleich 6 Ballverluste, eigentlich viel zu viele in so einer wichtigen Partie.

Offenbar war dieser letzte Eindruck aber der Prägendste, denn für mich etwas überraschend wählten die Journalisten Schröder zum MvP des Turniers. Gerade im deutschen Team, wenn die Ehre schon einem Akteur des Turniersiegers zuteil werden soll, hätte ich eher den so unfassbar smarten Franz Wagner gewählt (dies bekannte übrigens auch Dennis Schröder selbst, dem die Ehre fast peinlich zu sein schien). Im Finale waren es dem in der 1. halbzeit grandiosen Wagner vor allem Isaac Bonga und Tristan da Silva, die die deutsche Mannschaft, die fast die gesamte Zeit in Rückstand lagen, immer wieder zurück in die Partie brachten, wenn die Türken wegzuziehen drohten . Bonga verwandelte 4 von 4 Dreierversuche, da Silva 3 von 4, allesamt zu enorm wichtigen Zeitpunkten.

Einerlei: Der Hauptknackpunkt war die unglaubliche mannschaftliche Geschlossenheit, in der wirklich einer für den anderen da war. „Wir sind Brüder“, schwärmte Wagner fast kitschig gerade angesichts der Tatsache, dass sein leiblicher älterer Bruder Moritz wegen eines noch nicht ganz ausgeheilten Kreuzbandisses fehlte. Und noch einmal vom besten Mann auf dem Parkett ließen  sich die „Brüder“ verrückt machen. Alperen Sengün stellte die deutschen Verteidiger zwar vor viele zum Teil auch unlösbare Rätsel, aber diese blieben dran, machten es dem überragenden Center der Houston Rockets so schwer wie irgend möglich. Am Ende gingen dem 23-Jährigen, „mein“ insgesamt bester Spieler des Turniers, die Kräfte aus. Wie auch all den anderen wunderbaren türkischen Akteuren wie Dreier-Magier Cedi Osman (6/8)b und Ersatz-Center Adem Bona, die mich schon in den Runden zuvor verzückt hatten. Ich hätte dieser Truppe, angeleitet vom großartigen Trainer Ataman, einem der ganz großen seiner Zunft, den Titel ebenso gegönnt. Wer mich nur ein bisschen kennt, wird diese Worte auch glauben!

Einen großen Anteil verdiente sich auch das deutsche Trainerteam. Obwohl Chefcoach Alex Mumbro von schlimmen Baucherkrankung sehr genandicapt war (er magerte um 7 Kilo ab), gab es keinen Abbruch. Dies lag am Assistent Alan Ibrahimagic, der das Mumbro-Konzept mit überfall-schnellen Basketball perfekt anleitete. Als Cheftrainer diverser deutscher Nachwuchsteams hatte Ibrahimagic schon viele Meriten gesammelt, jetzt bestand er seine Reifeprüfung mit Bravour. Der Verband sollte sich gut überlegen, wie und auf welchen Posten er den Coach länger behalten kann. Denn dessen Trainerkunst war ein Bewerbungsschreiben für ganz Europa, vielleicht sogar für die NBA; wo einige Teams neuen Ideen und Wegen sehr aufgeschlossen sind.

Die Deutschen sind jetzt amtierende Welt- und Europameister, und da auch die Nachwuchsteams der absoluten Spitze angehören, scheint die Zukunft tatsächlich golden. Zumal mit Weltmeister Moritz Wagner und NBA-Champion Isaiah Hartenstein zwei ganz starke Akteure für die „großen“ Positionen fehlten. Allerdings bleibt abzuwarten, wie sich die neue Situation der Nachwuchsspieler entwickelt. Viele von denen sehen die Zukunft in den US Colleges, auch weil sie nun dort Summen verdienen können, die hierzulande (und in ganz Europa) nicht zu generieren sind. Nicht alle von denen, die jetzt hoffnungsvoll in die Staaten übersiedeln, werden im Stahlbad dort auch den Sprung ganz nach oben (sprich: NBA) schaffen. Der Verband und natürlich auch die Vereine sollten jetzt schon ein gutes Alternativ-Konzept erarbeiten, in dem auch diejenigen aufgefangen werden, die es „überm Teich“ nicht schaffen.

Zukunftsmusik Das nächste Großereignis ist die Weltmeisterschaft 2027 in Katar. Und dafür muss sich sogar der amtierende Welt- und Europamesiter erst in 2 Turnieren qualifizieren. Die zum Teil parallel zur NBA stattfinden, also ohne die dort angestellten Profis. Doch selbst ohne Schröder, die Wagners, da Silva und Hartenstein sollte das möglich sein, ohne dass ich die Qualität von Gegnern wie Israel, Hlland und Lettland kleinreden will.

 

Plötzlich trifft Franz sogar den Dreier

Basketball-EM, Halbfinale

 

Letztlich souverän schafften die deutschen Riesen den Sprung ins Endspiel. Gegen Finnland gewannen Dennis Schröder und Co. mit 98:86. Nur ganz zu Beginn lag das Team zurück, ein donnernder Slam Dunk von Franz Wagner Mitte des 1. Viertels war das Zeichen, dass man es jetzt Ernst nehmen möge gegen die Suomis, die im Achtelfinale immerhin den Titelfavoriten Serbien aus dem Turnier genommen hatten.
Das gab den Skandinaviern um NBA-Star Lauri Markkanen durchaus Selbstvertrauen, doch die Deutschen sind mittlerweile wirklich gefestigt (für mich, der auch die Niederungen des deutschen Basketballs miterlitten hat, schrebt sich das immer noch extrem verwunderlich). Immer wenn es eng zu werden drohte besannen sie sich, und vor allem trafen sie dieses Mal auch aus der Ferne. Die Dreierquote von 40 Prozent ist jedenfalls die mit Abstand beste im Turnierverlauf, und sogar Franz Wagner, der bis dato jenseits der 6,25-Meter-Linie so gut wie überhaupt nichts getroffen hatte und jenseits von Gut und Böse, fand gleich mit 3 Versuchen das Ziel. Gott sei Dank hörte Coach Alex Ibrahimagic (er heißt wirklich so!!!) nicht auf meinen Rat, er möge Wagner den Dreier mögllichst verbieten …)
Zwei Stärken der Finnen aus Achtel- und Viertelfinale kamen dagegen weniger zum Tragen: die Offensiv-Rebounds und ihre eigenen Dreier. Da deuteten sie jeweils ihre Klasse (Muurinen) nur an. Trotz der Niederlage werden sie mit dem schon jetzt besten Abschneiden ihrer EM-Geschichte hochzufrieden sein, zumal sie am Sonntag mit einem Sieg gegen Griechenland sogar eine Medaille gewinnen könnten. Und die Zukunft scheint ohnehin äußerst hell.

 

Finale, Deutschland – Türkei (Sonntag, 20 Uhr, Magenta Sport, RTL)

 

Im Endspiel wartet allerdings mit der Türkei ein ganz anderes Kaliber. Im emotionalen Duell gegen Nachbar Griechenland ließen NBA-Star Alperin Sengün und Co. von Beginn an nicht den geringsten Zweifel am Sieg. Können sie diese Form ins Finale transportieren, wird es verdammt schwer für die Deutschen. Denn die Türken haben eine enorm homogene Mannschaft beieinander und befinden sich auf ihrer Mission Titel. Gegen die Griechen langte es fast locker, deren Star Giannis Antetokuonpo kam praktisch überhaupt nicht zur Geltung und musste sich mit für ihn kümmerlichen 12 Punkten begnügen. Was die Türkei zeigte gerade in der 1. Halbzeit des Halbfinals, war jedenfalls klar das Beste, was ich bei diesem Turnier gesehen habe. Mit dieser Erkentnis stehe ich wahrlich nicht allein.

Aber Quervergleiche sind natürlich immer schwierig, und jede Partie beginnt von Neuem (das Phrasenschwein muss auch gefüttert werden …). Zumal die Türken völliges Neuland betreten, zumindest diese Spieler-Generation. 2001 hatte eine türkische Mannschaft das EM-Finale beim Heimturnier erreicht, das gegen ein jugoslawisches Team verloren wurde; übrigens nach einem denkwürdigen Halbfinale gegen Deutschland (mit Dirk Nowitzki) nach Verlängerung, die der damalige Superstar Hidayet Törkoglu mit einem unglaublichen Dreier erreichte. Noch immer fragen sich Experten und hadern deutsche Fans, warum man nicht vorher gefoult hatte, um ein 3-Punkte-Spiel (und den Ausgleich) zu verhindern. Die Frage und vor allem deren Antwort wird ein ewiges Geheimnis bleiben. Von diesem Team ist natürlich kein Spieler mehr dabei.
zum Nachleiden ca.1:20:00): https://www.youtube.com/watch?v=KE_orYNbt6w

Die Deutschen dagegen sind finalerprobt aus dem siegreichen WM-Endspiel 2023 in Manila gegen Serbien (nach dem unglaublichen Halbfinal-Erfolg zuvor gegen die USA). Gerade die Stützen Dennis Schröder, Franz Wagner und Daniel Theis sowie Dreier-Spezialist Andi Obst naben also Erfahrung, wenn es tatsächlich um den Titel geht. Letztgenannter muss allerdings noch ein wenig an seinem Visier schrauben.
Es ist das 3. EM-Finale einer deutschen Mannschaft. 1993 gewann das Team in einem Thriller in der Münchner Olympiahalle gegen Russland (Reporter Fritz Thurn und Taxis, unvergessen), 2005 verloren Dirk Nowitzki (zum MvP des Turniers gewählt) und Co. gegen Griechenland nahezu chancenlos mit 62:78.

Für mich sind die Türken leichter Favorit, weil sie eben nicht nur den einen Superstar haben wie die deutschen K.-o.-Runden-Gegner Slowenien (Doncic) und Finnland (Markkanen). Andererseits haben sie ihr perfektes Spiel schon hinter sich, während bei den Deutschen tatsächlich noch Potenzial nach oben ist. Eines scheint allerdings sicher: Auf die Basketball-Fans wartet ein großer Abend.