Anzugsskandal überschattet ein fantastisches Skifest
Nordische Ski-WM in Trondheim, in der norwegischen Heimat des Skilanglaufs. Ein Skifest für alle mit der unvergleichlichen Stimmung an den Loipen, wo Kind und Kegel und Opa und Oma stundenlang an der Strecke stehen, um alle Läufer anzufeuern. Die norwegischen euphorisch und mehr als respektvoll alle anderen, sogar die so erfolgreichen Schwedinnen, die alle Rennen gewonnen haben (der 50er steht heute noch aus).. Schaut euch auf youtube eine Staffel an oder auch die 50 Kilometer und genießt die Atmosphäre ganz in Rot. Gänsehaut ist garantiert.
Doch über dem norwegischen Skifest liegt ein ganz großer Schatten, und den hat nicht das ehe übeschaubare Wetter (typisch allerdings für Trondheim nahe des Polarkreises) gelegt, sondern die Skispringer. Vielmehr die unselige Diskussion um die Anzüge.
Material und Medizin – das sind die zwei der großen Feinde des fairen Leistungssport (es gibt noch einige mehr, wie gerade die deutschen Turnerinnen berichten). Doping war (erstaunlicherweise?) in Trondheim kein Thema (anders etwa als in Lahti 2001), umso mehr das Material. Gerade um die Anzüge gibt es schon jahrelang Diskussionen und Beschuldigungen. Laienhaft ausgedrückt: Je mehr sich ein Anzug aufplustern kann, also luftdurchlässiger, desto mehr Luftkissen und Stabilität gibt er dem Springer. Deshalb gibt es klare Normen (Körpermaße,Gewicht), die Anzüge werden vor jedem Wettbewerb von einer Jury abgenommen und erhalten eine Plombe, einen Clip. Ein Problem: Auch nachher veändert sich der Körper und es darf (mit ganzn festen Regeln) noch am Anzug gearbeitet werden.
Und diese engen Regeln scheinen die gastgebenden Norweger extrem ausgereizt und gar überschritten zu haben. Ihre Ergebnisse waren erstaunlich, erst recht angesichts der eher bescheidenen Leistungen im bisherigen Winter. Gerade der Leistungssprung des Weltmeisters Martin Lindvik von der kleinen sorgte für Argwohn, es gab von Beginn an Gerüchte, Verdächtigungen. Sven Hannawald etwa befand, dass niemand ohne „Betrug“ erfolgreich sein könne. Dabei muss man allerdings wie oben geschrieben bedenken, dass es gegen besonders erfolgreiche Teams immer Verdächtigungen gibt; zur Jahreswende auch gegenüber den Österreichern bei der Vierschanzentournee, als sie die gesamte Konkurrenz in Grund und Boden sprangen.
Es wäre wahrscheinlich bei den Gerüchteleien geblieben, wenn nicht ein geheimnisvolles Video aufgetaucht wäre, das die Norweger bei der verbotenen Manipulation von Anzügen zeigt. Die Fenster waren schwarz abgedunkelt, an plombierten Anzügen wurde vebotenerweise ein stützendes, nicht erlaubtes Material eingearbeitet. Die Erklärung der Norweger nimmt es mit jeder Doping-Ausrede auf. „Das waren Arbeiten für die Wettbewerbe nächste Woche in Oslo“, hieß es. Für die es alledings noch keine plombierten Anzüge gibt. Und es ist natürlich auch ganz logisch, das in der größten WM-Hektik der norwegische Bundestrainer nichts Besseres zu tun hat, als bei der Präparierung der Anzüge für nächste Woche live dabei zu sein.
Die FIS reagierte auf den Protest unter anderem von Österreich und Slowenien und disqualifizierte die norwegischen Springer nachträglich für den Großschanzen-Wettbewerb, erst im zweiten Anlauf allerdings. So verlor Marius Lindvik sein Silber. Doch sein Gold von der Kleinen Schanze darf er behalten, wie alle norwegischen Medaillen-Gewinner von der Schanze inklusive die überlegenen Kombinierer ihre Medaillen behalten dürfen. Mag jeder Skisprungfan seine eigenen Schlüsse ziehen, wie rechtmäßig bei den dortigen Wettbewerben die Anzüge waren und wie wertvoll die Medaillen sind.
Weil ich die Kombinierer angesprochen habe: Die hatten am Freitag ihren eigenen Skandal, weil im Teamwettbewerb der Norweger Jörgen Grabak wegen einer unerlaubten Bindung disqualifiziert wurde. Die Norweger schoben auch hier jegliche Schuld von sich, beschuldigten Fremde, den Ski manipuliert zu haben: eine nicht explizit ausgesprochene aber konkludente Anschuldigung an die direkte Konkurrenz, die zurzeit an der absoluten Spitze nur aus Österreich und Deutschland kommt. Der Streit kommt absolut zur Unzeit, denn der olympische Status der Kombinierer steht extrem auf der Kippe – und da ist Uneinigkeit der führenden Verbände das schlechteste aller Argumente.
Grabaks Sprung zählte also nicht fürs norwegische Team, das damit wertvolle Punkte verlor. Allerdings durften Grabak und das Team den Langlauf in Angriff nehmen, für mich eine sehr seltsame Regelung, denn in anderen Sportarten muss bei jeder Staffel muss jeder Athlet alle Disziplinen sauber absolvieren – ohne Disqualfikation, aus welchen Gründen auch immer. Aber das scheinen die Regeln zu sein, und so holten die Norweger noch Bronze hinter Deutschland und Österreich. Wobei auch hier die Sprung-Anzüge zumindest mal mitgedacht werden dürfen.
All das überschattet die unglaubliche Leistung von Johannes Klaebo, der tatsächlich alle 6 Langlaufwettbewerbe gewann, vom Sprint bis zum 50-Kilometer-Marathon. Natürlich kommt ihm die Massenstart-Regel beim 50er zu Gute (der leider diese Strecke weniger attraktiv macht als der Intervallstart). Dennoch ein einmaliges Kunststück, in seiner Vielfalt vergleichbar höchstens mit Ausnahmeschwimmer Michael Phelps und dem Eisschnelläufer Eric Heiden 1980 in Lake Placid, als dieser ebenfalls alle Strecken von 500 bis 10.000 Meter gewann, heute absolut unvorstellbar.
Klaebo wird sich bedanken, dass sein Triumph verschattet wurde, alle LangläuferInnen werden stocksauer auf die Sprungkollegen sein, die ihr Skifest arg beeinträchtigten. Aber eines wird bleiben: Nordische Ski-WM in Norwegen – das ist das Nonplusultra. gerne möglichst bald wieder.
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