Erst Shane Lowry wendet die Katastrophe ab

Ryder-Cup USA – Europa 13:15

 

Wenn ich jetzt mit einem knappen Tag Abstand (und einer Nacht) einigermaßen entspannt über den Ryder-Cup schreibe, so hat das mit meiner Gemütsverfassung (am Rande des Nervenzusammenbruchs) während dieses Golf-Treffen der besten Profis aus den USA und Europa wenig zu tun. Dabei hatte im Vorfeld des Schlusstages nichts, aber auch rein gar nichts darauf hingewiesen, dass der dritte und entscheidende Tag noch in irgendeiner Weise spannend werden könnte. So überlegen, so brillant zeigten sich Europas Asse in den beiden Tagen zuvor, angeführt von einem außerirdisch gut spielenden Tommy Fleetwood über Rory McIlroy, Jon Rahm und einige andere. Sie gingen mit einer bis dato nie dagewesenen 11,5:3,5-Führung in den Sonntag. Hauptgesprächsthema war neben der absurden Überlegenheit vor allem das unfassbar unfaire Publikum vor den Toren New Yorks. Das allen Ohrenzeugenberichten nach die beim Ryder-Cup übliche feindliche Stimmung noch um ein Vielfaches übertraf. Aufgeputscht wahrscheinlich auch durch zu viel Alkohol (trotz Wucherpreisen von 18 Dollar für eine Halbe Bier) ergingen sich die Golffans (eher: American Nazis) in übelsten Beleidigungen auch gegen die mitgereisten Ehefrauen und Freundinnen der Europa-Spieler (grundsätzlich hochgeachtet auch in den Staaten). Ein Nazi-Weib (entschuldigung!) stimmte gar per Megafon einen „Fuck-Rory!“-Chant an, nicht sehr erfolgreich, immerhin. Doch all das schien an den Europäern am Freitag und Samstag abzuperlen wie an einer Teflonpfanne.

Und dann wurde alles doch ganz anders in den elf Einzeln. Nur elf, weil der der Norweger Victor Hovland verletzt zurückziehen musste und sein Match gegen Harris English ohne Match mit 0,5:0,5 gewertet wurde. Worauf noch zu sprechen sein wird. Dabei begannen auch die Einzel erst mal ganz nach dem Geschmack der Europäer. Das Scoreboard wurde schnell europäisch-blau, das US-Rot sprenkelte bestenfalls vereinzelt durch. Doch nach und nach änderte sich das Bild. Die Europäer lochten nicht mehr ein, die Amerikaner witterten ihre Chance wie der Hai die Blutspur, und das Publikum tat das Seine. Aus dem Blau wurde nach und nach ein Rot. Cameron Young setzte als Vorhut mit seinem Sieg gegen Justin Rose das erste Zeichen, Justin Thomas holte unmittelbar den ganzen Punkt gegen den bis dato überragenden Fleetwood. Bryson DeChambeau gelang gegen Matthew Fitzpatrick eine unfassbare Aufholjagd und egalisierte einen 5-Loch-Rückstand (und hätte die Partie beinahe sogar gewonnen und nicht nur geteilt). Das Konzept von Europas Teamchef Luke Donald, die Top-Leute vorne aufzustellen, damit die ersten Einzel schnell die Entscheidung (sprich, den 14. Punkt) herbeiführen würden, war gescheitert, erst recht, als im Top-Match der Weltranglistenerste Scottie Scheffler den Nordiren McIlroy (Nummer 2)  niederrang. Die Amerikaner spielten dabei wirklich großartiges Golf, die Europäer hielten kaum noch dagegen, offenbar hatten die 2 Tage vor allem auch psychisch mehr Kräfte beansprucht als gedacht, ich denke etwa an den so starken Jon Rahm.
Ausgerechnet Ludvig Aberg, einer der ganz wenigen Unauffälligen an den 2 Tagen zuvor im Team Europa, hielt sein Spiel zusammen und gewann sein Match gegen Patrick Cantlay. Aber ansonsten eine schier unaufhaltsame Rote Welle, die mich fatal an US-Wahlen und die Rot-gefärbten Reps-Staaten erinnerte, der Red Wall im Mittleren Westen.

Mit der Ruhe eines irischen Seemanns

Die bange Frage stellte sich: Wo war der Spieler, der  noch  den entscheidenden halben Punkt holen würde: Jon Rahm aus Spanien (vs Xander Schauffele) verlor ebenso klar wie der Österreicher Sepp Straka vs JJ Spaun.
Kaum noch Hoffnung, wäre da nicht das alte Schlachtross Shane Lowry. Der Ire hielt sein Spiel offen bis zum letzten Loch, als er mit der Seelenruhe eines abgehärteten irischen Seemanns einen Zwei-Meter-Putt versenkte (und danach wie ein aufgeputschter Flummi herumsprang. Der entscheidendecPunkt (nach Ryder-cup-Regularien genügen dem Titelverteidiger vierzehn Zähler). Die „dicke Frau“ hatte endlich für Europa gesungen, und niemand anderer würde diesem Bild besser entsprechen als der, sagen wir euphemistisch: untersetzte Shane Lowry

Die ganz große Europa-Katastrophe (sportlich, versteht sich) war also abgewendet, und spätestens als Tyrell Hatton gegen Collen Morikawa ein weiteres Remis gelang, waren auch die Verschwörungstheorien Makulatur, nach denen Voictor Hovland bis Absicht nicht gespielt habe, um kampflos zu einem halben Punkt zu kommen. Die eh völlig irre sind, weil kein einziger Spieler mit der geringsten Selbstachtung freiwillig auf das Abenteuer „Einzel im Ryder-Cup“ verzichten würde, egal wie feindselig die Stimmung ist.

See You again in Trumpistan 2029

Am Ende stand ein 15:13 auf dem Scoreboard, und damit auch ein „echter“ Sieg der Europäer. Die US-Boys hatten mit ihrem grandiosen Schlusstag das Gesicht mehr als gewahrt (zumindest einigen von ihnen war das indiskutable Gebaren der Fans sichtlich peinlich/Justin Thomas). Wenn dann alle zur Ruhe gekommen sind, sich der Pulverdampf verzogen hat, sollten die Verantwortlichen sich zusammensetzen, wie solch skandalösen Zuschauer-Vorfälle zu vermeiden sind. Und zwar, ohne dass der Wettbewerb, der natürlich auch von Rivalität samt Schnähungen (im Rahmen!) lebt, zu sehr leidet (und nicht zu einer trostlosen Angelegenheit mutiert wie der Tennis-Laver-Cup Europa vs World
Wobei: Der nächste Ryder-Cup in den USA findet in vier Jahren statt (2027 in Irland, wo dann Shane Lowry trotz seiner dann 50 Jahre ein rauschendes Heimspiel genießen dürfte). Wenn Trumpistan allerdings bis 2029 so fortschreitet, herrscht dann in den USA Diktatur, und ein freundschaftliches Golfertreffen zwischen Amerikanern und Europäern wäre kaum vorstellbar.

Anzugsskandal überschattet ein fantastisches Skifest

Nordische Ski-WM in Trondheim,  in der norwegischen Heimat des Skilanglaufs. Ein Skifest für alle mit der unvergleichlichen Stimmung an den Loipen, wo Kind und Kegel und Opa und Oma stundenlang an der Strecke stehen, um alle Läufer anzufeuern. Die norwegischen euphorisch und mehr als respektvoll alle anderen, sogar die so erfolgreichen Schwedinnen, die alle Rennen gewonnen haben (der 50er steht heute noch aus).. Schaut euch auf youtube eine Staffel an oder auch die 50 Kilometer und genießt die Atmosphäre ganz in Rot. Gänsehaut ist garantiert.

Doch über dem norwegischen Skifest liegt ein ganz großer Schatten, und den hat nicht das ehe übeschaubare Wetter (typisch allerdings für Trondheim nahe des Polarkreises) gelegt, sondern die Skispringer. Vielmehr die unselige Diskussion um die Anzüge.

Material und Medizin – das sind die zwei der großen Feinde des fairen Leistungssport (es gibt noch einige mehr, wie gerade die deutschen Turnerinnen berichten). Doping war (erstaunlicherweise?) in Trondheim kein Thema (anders etwa als in Lahti 2001), umso mehr das Material. Gerade um die Anzüge gibt es schon jahrelang Diskussionen und Beschuldigungen. Laienhaft ausgedrückt: Je mehr sich ein Anzug aufplustern kann, also luftdurchlässiger, desto mehr Luftkissen und Stabilität gibt er dem Springer. Deshalb gibt es klare Normen (Körpermaße,Gewicht), die Anzüge werden vor jedem Wettbewerb von einer Jury abgenommen und erhalten eine Plombe, einen Clip. Ein Problem: Auch nachher veändert sich der Körper und es darf (mit ganzn festen Regeln) noch am Anzug gearbeitet werden.

Und diese engen Regeln scheinen die gastgebenden Norweger extrem ausgereizt und gar überschritten zu haben. Ihre Ergebnisse waren erstaunlich, erst recht angesichts der eher bescheidenen Leistungen im bisherigen Winter. Gerade der Leistungssprung des Weltmeisters Martin Lindvik von der kleinen sorgte für Argwohn, es gab von Beginn an Gerüchte, Verdächtigungen. Sven Hannawald etwa befand, dass niemand ohne „Betrug“ erfolgreich sein könne. Dabei muss man allerdings wie oben geschrieben bedenken, dass es gegen besonders erfolgreiche Teams immer Verdächtigungen gibt; zur Jahreswende auch gegenüber den Österreichern bei der Vierschanzentournee, als sie die gesamte Konkurrenz in Grund und Boden sprangen.

Es wäre wahrscheinlich bei den Gerüchteleien geblieben, wenn nicht ein geheimnisvolles Video aufgetaucht wäre, das die Norweger bei der verbotenen Manipulation von Anzügen zeigt. Die Fenster waren schwarz abgedunkelt, an plombierten Anzügen wurde vebotenerweise ein stützendes, nicht erlaubtes Material eingearbeitet. Die Erklärung der Norweger nimmt es mit jeder Doping-Ausrede auf. „Das waren Arbeiten für die Wettbewerbe nächste Woche in Oslo“, hieß es. Für die es alledings noch keine plombierten Anzüge gibt. Und es ist natürlich auch ganz logisch, das in der größten WM-Hektik der norwegische Bundestrainer nichts Besseres zu tun hat, als bei der Präparierung der Anzüge für nächste Woche live dabei zu sein.

Die FIS reagierte auf den Protest unter anderem von Österreich und Slowenien und disqualifizierte die norwegischen Springer nachträglich für den Großschanzen-Wettbewerb, erst im zweiten Anlauf allerdings. So verlor Marius Lindvik sein Silber. Doch sein Gold von der Kleinen Schanze darf er behalten, wie alle norwegischen Medaillen-Gewinner von der Schanze inklusive die überlegenen Kombinierer ihre Medaillen behalten dürfen. Mag jeder Skisprungfan seine eigenen Schlüsse ziehen, wie rechtmäßig bei den dortigen Wettbewerben die Anzüge waren und wie wertvoll die Medaillen sind.

Weil ich die Kombinierer angesprochen habe: Die hatten am Freitag ihren eigenen Skandal, weil im Teamwettbewerb der Norweger Jörgen Grabak wegen einer unerlaubten Bindung disqualifiziert wurde. Die Norweger schoben auch hier jegliche Schuld von sich, beschuldigten Fremde, den Ski manipuliert zu haben: eine nicht explizit ausgesprochene aber konkludente Anschuldigung an die direkte Konkurrenz, die zurzeit an der absoluten Spitze nur aus Österreich und Deutschland kommt. Der Streit kommt absolut zur Unzeit, denn der olympische Status der Kombinierer steht extrem auf der Kippe – und da ist Uneinigkeit der führenden Verbände das schlechteste aller Argumente.

Grabaks Sprung zählte also nicht fürs norwegische Team, das damit wertvolle Punkte verlor. Allerdings durften Grabak und das Team den Langlauf in Angriff nehmen, für mich eine sehr seltsame Regelung, denn in anderen Sportarten muss bei jeder Staffel muss jeder Athlet alle Disziplinen sauber absolvieren – ohne Disqualfikation, aus welchen Gründen auch immer. Aber das scheinen die Regeln zu sein, und so holten die Norweger noch Bronze hinter Deutschland und Österreich. Wobei auch hier die Sprung-Anzüge zumindest mal mitgedacht werden dürfen.

 

All das überschattet die unglaubliche Leistung von Johannes Klaebo, der tatsächlich alle 6 Langlaufwettbewerbe gewann, vom Sprint bis zum 50-Kilometer-Marathon. Natürlich kommt ihm die Massenstart-Regel beim 50er zu Gute (der leider diese Strecke weniger attraktiv macht als der Intervallstart). Dennoch ein einmaliges Kunststück, in seiner Vielfalt vergleichbar höchstens mit Ausnahmeschwimmer Michael Phelps und dem Eisschnelläufer Eric Heiden 1980 in Lake Placid, als dieser ebenfalls alle Strecken von 500 bis 10.000 Meter gewann, heute absolut unvorstellbar.

Klaebo wird sich bedanken, dass sein Triumph verschattet wurde, alle LangläuferInnen werden stocksauer auf die Sprungkollegen sein, die ihr Skifest arg beeinträchtigten. Aber eines wird bleiben: Nordische Ski-WM in Norwegen – das ist das Nonplusultra. gerne möglichst bald wieder.