Kirsty Coventry – die zweifelhafte Hoffnungsträgerin

Das ging schneller als erwartet: Bereits im 1. Durchgang wurde Kirsty Coventry zur neuen IOC-Präsidentin und damit Nachfolgerin von Thomas Bach gewählt. Sie sammelte bei der Session am Peloponnes unweit von Olympia 49 der abgegebenen 97 Stimmen und erreichte damit hauchdünn die erforderliche absolute Mehrheit. Ohne Chance blieben die eigentlichen Favoriten (laut der Auguren, die so herumschwirrten) Juanito Samaranch (28 Stimmen) und Sebastien Coe, für den gar nur 8 Voten abgegeben wurden – was für eine Schmach für den ehemaligen Weltklasseläufer und Präsidenten Leichtathletik-Weltverbandes.

Auf dem ersten Blick könnte die IOC-Wahl von Coventry erstaunlicher und progressiver kaum sein. Erst 41 Jahre alt ist die ehemalige Weltklasseschwimmerin und Doppel-Olympiasiegerin (also ein Küken unter den alten IOC-Lemuren). Sie ist zudem die erste Frau, die dem Gremium in der gut 130-jährigen Geschichte vorsteht und die erste Afrikanerin. Zwar gehört sie der weißen Minderheit des Landes an, ist aber doch aufgewachsen und geprägt von der afrikanischen Kultur, wie sie oft bekannte.

Warum ich und viele andere Zweifel habe? Zum einen war sie Protegée und Wuschkandidatin von Thomas Bach: Jenem Putin-Freund und Anbiederer vieler anderer Autokraten/Diktatoren, der für jeden Dollar mehr jegliche Moral über Bord warf. Der mit seinem autokratischem Stil selbst die meisten Kritiker aus dem IOC gefegt hat, das ihm mehr und mehr zu Füßen liegt. Was sich nicht zuletzt am Donnerstag zeigte, als die IOC-Granden, viele von ihm selbst auserwählt und ge/befördert, ihn einstimmig und mit größter Begeisterung zum Ehrenmitglied auf Lebenszeit erwählten. Coventry hat sich bisher als braves Ziehkind erwiesen, im Gegensatz zu Coe und Samaranch, die doch ihre eigenen Ideen von der IOC-Zukunft hatten; so revolutionär die Wahl einer junge Fraun aus Zimbabwe klingt, so wenig Revolutionäres lässt sie selbst bisher erwarten.

Seit 2013 ist die Ex-Schwimmerin, die 2004 und 2008 über 200 Meter Rücken bei Olympia triumphierte, im IOC: zunächst als Aktivensprecherin, seit 2018 im Exekutivkomitee. 2018 wurde sie auch Sportministerin von Zimbabwe; es gab eine Anklage wegen Bestechlichkeit aus dem Umfeld von Ex-Diktator Robert Mugawe, von dem sie letztlich freigesprochen wurde. Das Land allerdings ist weit unten im Ranking, was Offenheit betrifft, und Coventry machte sich in diesem System nicht gerade als Aufrührerin einen Namen.

Und doch habe ich Hoffnung, dass ein neuer Wind im IOC weht, dass Kirsty Coventry nicht nur eine Marionette von Thomas Bach ist, der im Stillen weiter die Fäden zieht, sondern sich vom Ziehvater emanzipiert. Ihre Amtszeit beginnt den Statuten nach in 3 Monaten, und es sind gleich herkulische Aufgaben, vor der sie und das gesamte IOC stehen. Meines Erachtens sind es vor allem 3 Problemfelder, an deren Lösung (oder auch nur Löösungsansatz) sie sich messen lassen muss

1. Wiedereingliederung Russlands

Mehr als 3 Jahre tobt der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, und russische Sportler (Funktionäre) werden zumindest als Team noch von Olympia ausgeschlossen; ihr Start ist nur möglich, wenn sie nachweisen können, dass sie nicht dem System angehören oder gar den Krieg gutheißen. Doch die Phalanx bröckelt,d ie Anzeichen mehren sich, dass Russland wieder in die Olympische Familie aufgenomen wird. Viele Sportverbände sind diesen Schritt ja schon gegangen, auch aus Gewinnstreben, weil das Russland trotz allem ein treuer und potenter Finanzier war, dessen Geld und Einfluss übedecken oft moralische Bedenken. Bisher hat sich Coventry zu dieser Problematik nicht geäußert. Thomas Bach hätte die Russen liebend gerne in all ihrer Macht und Pracht wieder aufgenommen.

2. Trumps USA

In 3 Jahren finden die Olympischen Sommerspiele in den USA statt, voraussichtlich also noch in der Ägide von Donald Trump. Kirsty Coventry muss also Verhältnis, eine Kommukationsbasis zum erratischen Präsidenten (oder wenigstens seines inner circle) aufbauen. Zumal die USA weiterhin den (finanz)mächtigste nationalen Verband im IOC stellen, gegen die niemand einen Kampf siegreich bestehen kann ohne große Blessuren davonzutragen. Trump ist ja schon auf Konfrontationskurs gegangen, als er in einem seiner unzähligen Dekrete verfügte, dass der US Sport nur noch zwei Geschlechter haben darf; sämtliche Diversitäts-Programme sind eingestampft.
Das ohnehin extrem schwierige und komplizierte Behandeln von Trans-Frauen im Leistungssport, ich erinnere an die olympischen Box-Wettbewerbe, als 2 Frauen mit Y-Chromosomen die Konkurrent vermöbelten.
Normalerweise ächtet und verbietet das IOC jegliche Einmischung eines Staates in sportliche Belange, bisher versucht es, dieses Problem eher auszusitzen, aber das wird auf Dauer nicht möglich sein.
Praktische Fragen zu Olympia in LA selbst (wer darf unter welchen Umständen wie einreisen etc.) sind zwar noch nicht aktuell, sie gehören aber früher oder später auf eine Agenda. Da ist halt die Frage, ob eine Kirsty Coventry auch nur ansatzweise eine ebenbürtige Partnerin bei der Zusammenarbeit IOC-USA sein kann.

3. Der Wintersport

Vielleicht kommt es sogar noch viel früher als bisher gedacht zu Olympia in den USA. Dann nämlich, wenn die Bob-Bahn in Cortina für die Winterspiele 2026 nicht rechtzeitig feritg werden sollte, was derzeit wohl niemand mit Sicherheit vorhersagen kann. Als erster Ersatzort gilt nämlich die Bahn von Lake Placid, wo dann alle Bob-, Rodel- und Skeleton-Wettbewerbe abgehalten werden sollen. Mit Kirsty Coventry an der Spitze wird das IOC zum einen entscheiden müssen, ob es bei diesem unsinnigen Ersatzort bleibt (warum nicht eine europäische Bahn wie die recht nahen in Innsbruck-Igls und St. Moritz?) und wie das dann im Konkreten ablaufen soll. Das steht alles noch in den Sternen, doch ein Total-Ausfall dieser Wettbewerbe (den ich persönlich Stand heute nicht ausschließen kann), wäre ein denkbar schlechter Start der Amtszeit (vielleicht aber auch ein Zeichen).
Denn der gesamte Wintersport steht auf der Kippe wegen des Klimawandels. Die Orte, die einerseits schneesicher (selbst für künstlichen Schnee) sind und andererseits groß genug für das Giganten-Olympia, werden weniger und weniger. Die vergangenen 3 Winterspiele in Sotschi, Pyeongchang und Peking waren stimmungsmäßig eine Katastrophe. Muss das Programm geändert werden (Ski alpin ohne Abfahrt, keine neuen Bobbahnen, die niemand außerhalb Olympias mehr braucht). Darüber gibt es bisher noch keinerlei belastbare Aussagen, doch die Problematik wird nicht verschwinden.

4. Die Transparenz

Mittlerweile ist das IOC ein ähnlicher Geheimbund wie die Konklave, in der ein neuer Papst gewählt wird (die Unterschiede beider Gremien sehe ich natürlich …). Unter Thomas Bach ist auch das letzte Bisschen Offenheit verschwunden, wie etwa das Ausbaldowern der Olympiastädte 2030 (Annecy) und 2032 (Brisbane) zeigt, das vielleicht eine Handvoll Menschen ausgekungelt haben. Die Leute wieder mitnehmen, den Gigantismus eindämmen, sodass auch demokratische Länder ihre Bevölkerung mit einer Bewerbung nicht vor den Kopf stoßen, sondern Aufbruchsstimmung erzeugen – das wäre fantastisch. Und dann würde ich mich wirklich freuen, wenn auch eine deutsche Stadt voller Sportbegeisterung Olympia-Ort werden könnte. Ich bin 61 Jahre alt, ob ich solches noch erlebe? (nein, ich werde mich nicht einfrieren lassen, um im nächsten Jahrhundert wieder aufzuwachen?

Wenn  Kirsty Coventry auch nur ansatzweise der Tournaround gelingt, dann könnte ihre Ägide eine Erfolgsgeschichte werden. Wenn nicht, droht im schlimmsten Fall das Aus vom IOC, wie wir es kennen und damit von Olympia (meine Erinnerungen werden aber bleiben!). Wie gesagt: Frau Coventry steht vor herkulischen Aufgaben, und ihr ist alles Glück dieser Welt dafür zu wünschen.