Deutschinnen brauchen eine Musialova

Fußball-EM der Frauen, Halbfinale

 

Die Deutschinnen haben es nicht geschafft. Gegen den Favoriten Spanien bot das Team von Christian Wück zwar erneut einen großartigen Kampf, doch am Ende setzten sich die Weltmeisterinnen dank ihrer spielrischen Überlegenheit und eines Geniestreichs der Weltfußballerin Aitana Bonmati mit 1:0 nach Verlängerung durch. Aus ganz spitzem Winkel überlistete sie bis dato erneut überragende Schlussfrau Ann-Katrin Berger, die auf eine Hereingabe spekulierte und „ihr“ kurzes Eck offenließ, durch das der genau gezirkelte Ball die Lücke ins Tor fand. Bonmati, deren EM-Einsatz wegen einer Hirnhautentzündung auf der Kippe stand, hatte genau auf dieses Spekulieren spekuliert, wie sie erzählte. Die schwer enttäuschte Berger nahm alle Schuld am Ausscheiden auf sich, was natürlich völlig absurd war aufgrund ihrer starken Leistungen, die das Team erst ins Halbfinale und dort im Spiel gehalten hatten. Gerade in einer Drangphase der Spanierinnen kurz vor der Pause rettete sie mit einigen starken Paraden das torlose Unentschieden.

Was bleibt, ist ein tatsächlich heroischer Kampf einer angeschlagenen Mannschaft gegen ein spielerisch klar besseres Team. Der durchaus hätte erfolgreich enden könnte, wenn das Team die durchaus vorhandenen Konterchancen schlauer ausgespielt hätte. Und wenn nicht Spaniens Torfrau Cata Coll in der Nachspielzeit einen abgefälschten Schuss aus dem Winkel gekratzt hätte (nicht ganz so spektakulär aber doch ähnlich wie Berger im Viertelfinale gegen Frankreich) und auch den zwar scharfen, aber nicht sonderlich platzierten Nachschuss von Charlotta Wamser entschärfte.

 

Was bleibt für die Deutschinnen von dieser EM?

 

Nach dem Weiterkommen gegen Favorit Frankreich im Viertelfinale genoss das Team Heldenstatus. Diese Partie (108 Minuten in Unterzahl und Elferschießen) wird in die deutsche Fußballgeschichte eingehen (Männlein und Weiblein) ähnlich wie etwa das 3:3 im WM-Halbfinale 1982 ebenfalls gegen Frankreich (die Nacht von Sevilla). Und auch das Halbfinale zeigte, dass zumindest kämpferisch das Team absolute Weltspitze ist. Und doch: Bei all den Heldensagen um Berger, Kleinherne, Bühl et all bleibt auch die ernüchternde Erkenntnis, dass spielerisch doch viel im Argen ist. Die Mängel hier, die die beiden Arbeitssiege zum Turnierbeginn gegen Polen und Dänemark noch kaschierten, traten insbesondere beim 1:4 in der Vorrunde gegen Schweden bedenklich auf. Und sowohl gegen Frankreich (bedingt natürlich auch durch die Unterzahl) als auch gegen Spanien verlegte sich das Team fast nur aufs Verteidigen und suchte das Glück im Kontern. Wenn ich mir die fließenden Kombinationen der Spanierinnen, aber auch von Frankreich, England und sogar Italien anschaue, dann fehlt da doch einiges. Insofern war das Halbfinale noch das höchste der Gefühle, noch dazu mit diesem jungen und ersatzgeschwächten Team.

Doch gerade die spielerische Brillanz einer Aitana Bonmati oder Alexia Putellas lässt sich nicht von Jetzt auf Gleich erlernen, die Grundlagen dazu braucht es schon in der Jugend. Keine deutsche Feldspielerin stach spielerisch heraus in diesem Turnier, allenfalls durch Laufbereitschaft und enormen Kampfgeist. Deutsche Tugenden also, die Matthias Sammer bei den Männern vermisst. Aber die große Frage lautet: Gibt sich der deutsche Fan mit dieser Art von Außenseiter-Fußvball zufrieden mit „Hansperterbriegel-“ oder „Griechenland2004-Fußball“, wie die „Zeit“ bemängelt. Wo ist die Wirtzin und/oder eine Musialova?

Und doch: Der positive Eindruck überwiegt. Vor allem auch angesichts der Tatsache, dass die Deutschen (mal wieder) den Frauen-Fußball entdeckt haben. 14,26 Millionen fieberten am Fernseh-Gerät allein in der ARD mit, alle Zeitungen berichten ausführlichst. Ähnliche Quoten hat es zwar schon bei der Heim-WM 2011 gegeben, doch jetzt scheint mir der Vereins-Unterbau gerade auch international weitaus gestärkter als damals, als die Euphorie schnell wieder verebbte. Allerdings hat die Bundeslgia im Vergleich zu England, Spanien und sogar Frankreich erheblichen Nachholbedarf. Ein erster Schritt wäre es meiner Meinung nach, wenn die Clubs (mittlerweile fast alle den Männer-Bundesligisten angeschlossen) verstärkt in die großen Stadien gingen und nicht nur bei absoluten Höhepunkten. Fußball der Frauen ist mittlerweile zu einer eigenständigen attraktiven Angelegenheit geworden, die refgelmäßig ein entsprechendes Ambiente verdient hätte und nicht ein CL-Spiel auf einem besseren Trainingsgelände.
Das gilt übrigens auch für mich, der den „normalen“ Frauenfußball (die Bezeichnung ist ziemlich unerwünscht, es heißt ja auch nicht Frauen-Tennis oder gar Damentennis) abseits der Großereignisse recht stiefmütterlich behandelt habe. Ich gelobe Besserung.

 

 

Das Endspiel steht noch aus

 

Weltmeisterin Spanien kann also das Doppel WM/EM perfekt machen, wie ihre Männer 2008 und 2010 (+2012). Dazu braucht es am Sonntag einen Finalerfolg gegen England, in einer Wiederholung des Endspiels 2023 in Sydney. Die Engländerinnen ihrerseits sind die Stehauffrauen dieses Turniers. Zweimal retteten sie sich in Viertel- und Halbfinale gegen Schweden und Italien nach Rückstand bis in die Schlussphase noch in die Verlängerung. Gegen die tapferen Italienerinnen schafften sie dann durch einen berechtigten wie überflüssigen Strafstoß eine Minute vor Schluss die Entscheidung, als Chloe Kelly zunächst scheiterte, dann aber im Nachschuss erfolgreich war. In de regulären Spiezeit gelang erst in der 6. Minute der Nachspielzeit der Ausgleich. Zurück blieben in Tränen aufgelöste Azzurri und ihr glück nicht fassen könnende Lionesses.

Auch im Basler Finale (Sonntag ab 17 Uhr ZDF, SRF, ORF, DAZN) sind die Rollen klar verteilt. Hier die Favoritin Spanien, die jetzt auch wissen, dass sie ganz knappe Partien gewinnen können, dort die Außenseiterin England, die auf weitere geniale Einwechselideen ihrer holländischen Trainerin Sarina Wiegmann hoffen darf: Diese sitzt nur beim 4. WM- oder EM-Finale seit 2019 auf der Bank (besser: an der Seitenlinie). Da kann sie wohl nichts und niemand mehr erschüttern, nicht einmal die brillanten Aitana und Alexia.

Das war monympia, Resümee III

Zum Abschluss meiner Olympia-Betrachtung möchte ich einen Blick aufs deutsche Abschneiden werfen, eher ein allgemeines und ein wenig Spekulatius, warum dem so ist. Und im zweiten Teil ein paar Zahlenspielereien, grob anhand des Medaillenspiegels.

🇩🇪 👓 und ein bisschen 🇦🇹

Die nackten Zahlen: Das deutsche Team hat 33 Medaillen gewonnen, vier weniger als 2020 in Tokio, davon 12 Goldene, 2 mehr als bei den Corona-Spielen. Das entspricht im Großen und Ganzen meinen Erwartungen (nicht dass ich das überall im Einzelnen überblickt hätte). Es hat  große positive Überraschungen gegeben wie die  3×3-Gold-Basketballfrauen, aber auch einige herbe Enttäuschungen: Hier sei vor allem Langstreckenschwimmer Florian Wellbrock genannt, bei dem Trainer und Experten immer noch rätseln, warum er weit hinter seinen Bestzeitenvund Erwartungen blieb. Zumal seine Trainingskollegen Lukas Märtens (Gold über 200 Meter) und Oliver Clemet (Silber im Freiwasser) reüssierten.
Was insgesamt auffällt: In den sogenannten olympischen Kernsportarten haben die deutschen den internationalen Anschluss verloren: Leichtathletik, Schwimmen und Turnen sind sehr medaillenträchtig, siehe Zahlenspiele. Allerdings ist hier auch die internationale Konkurrenz am größten. Gerade die Beckenschwimmer können mE sehr zufrieden sein mit einigen Bestzeiten und Endlaufteilnahmen.
Praktisch ein Ausfall sind alle Kampfsportarten: Nur im Boxen und Judo sprangen je eine Medaille heraus. Die ehemalige Goldschmiede Fechten ist völlig versiegt: Nur zwei Starter insgesamt und kein einziges Team sind ein erschütterndes Armutszeugnis. Auch Schützen und Segler, immer für mehrere Medaillen gut, gingen leer aus. Bedenklich stimmt mich hier, dass man von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht mal in die Nähe von Edelmetall kam.
Grandios dagegen die Reiter mit viermal Gold und die Kanuten mit 2 Goldenen, seit Jahrzenhten der verlässlichste Medaillenlieferant.
Außerdem wirklich bemerkenswert: Es waren in den Mannschaftssportarten nicht nur so viele deutsche Teams wie noch nie qualifiziert (insgesamt 10), sie haben auch allesamt die K.-o.-Runde erreicht, also die Vorrunde mit zum Teil sehr schönen Leistungen überstanden und letztlich 4 Medaillen gewonnen. Aber pro Mannschaftssport gibt es halt nur eine Medaille/Disziplin für ein Team mit mindestens 12 Mitgliedern.

Was  schon lange ein Problem ist, wenn man ein relativ schwaches Abschneiden bei Olympia als Problem für dieses Land ansieht, ist die Tatsache, dass viele höchstbegabte Nachwuchssportler den Sprung in die allgemeine Spitze nicht schaffen: Weil sie sich eben nach der Schule um ihr Studium/Berufsleben kümmern müssen, während andere Nationen praktisch Vollprofis haben. Vom Sport leben können die wenigsten, von einer etwaigen Vorsorge fürs Alter brauche ich gar nicht zu sprechen. Also eher kein Zufall, dass die Mannschaftssportarten, wo zumindest die Männer gut bis sehr bezahlt werden (die Frauen-Teams sind ein trauriges Thema für sich), relativ erfolgreich waren und die Reiter mit der wahrscheinlich weltweit besten Pferdezucht so herausragend.
Dem Staat sind die Sportler immerhin 300 Millionen Euro im Jahr wert, dazu kommen viele Berufsoldaten und -Polizisten, die beim Staat angestellt sind, aber von der Arbeit oft freigestellt. Wichtig wäre eine mittelbare Förderung: Das beginnt beim bisher so vernachlässigten Schulsport (mehr in der Breite ergibt auch mehr in der Spitze) und geht zu einer Art Boni für Leistungssportler bei der Berufswahl als Anerkennung für geleistete Dienste. Zumal Arbeitgeber mittlerweile wissen müssten, dass Leistungssportler bereit sind, sehr viel auf sich zu nehmen und diese Einstellung auch in ihrem Job zum Ausdruck bringen. Beispiele dafür gibt es genug.

Alles keine Allheilmittel: Einen echten Schub würden höchstwahrscheinlich Olympische Spiele in Deutschland bringen sogar nachhaltig. Australien (Sydney 2000 und Brisbane 2032), Großbritannien (London 2012) und jetzt eben Frankreich, wo die Sportler der Gastgeber so erfolgreich waren wie vorher noch nie, sind ein Beleg dazu. Schon eine wirklich gute, seriöse  und aussichtsreiche Bewerbung für 2036 oder besser 2040 wäre für viele Talente eine große Motivation und eben auch ein Zeichen: Dass Leistungssport „uns“ als Nation was wert ist. Dabei ist mir natürlich klar, dass Olympia hierzulande kritisch gesehen muss, gerade bei diesem geldgierigen, intransparenten,all es zermalmenden  IOC und dessen Neigung zum Gigantismus. Aber wenn sich etwa Berlin seriös aufrafft mit den schon bestehenden (Olympiastadion! Halle am Ostbahnhof!) und  ein paar temporären Sportstätten mitten in der Stadt (Beachvolleyball vorm Brandenburger Tor!, Klettern unterm Funkturm!) – warum eigentlich nicht? Das einmalige Paris nicht kopieren wollen, aber durchaus als Vorbild nehmen, wie man Stadt und Spiele vereint. Sich auch von etwaigem Gegenwind nicht aus der Bahn werfen lassen. Aber ich befürchte, das wird mit der deutsch-eigenen Kleinstaaterei und Bürokratie zerredet – oder soll ich doch darauf hoffen?

Seitenblick auf Austria 🇦🇹

2 Goldene und insgesamt 5 Medaillen haben die Österreicher gewonnen, und liegen damit gerade noch im Soll der ausgerufenen 5 bis 10. die man sich so vorstellte im Ösi-Land. Auch hier sind  nicht alle Träume aufgegangen: Felix Auböck indiskutabel im Schwimmen, Lukas Weißhaidinger trotz guter Weite ohne Medaille mit dem Diskus, die Weltmeister-Schwestern Alexandri nur Blech im Synchronschwimmen samt großen Ärger über die Bewertung. Dafür hat das Binnenland plötzlich zwei Olympiasieger im Segeln, die zwar nicht gerade wie Kai aus der Kiste sprangen, aber doch als positive Überraschung gelten müssen. Sommerspiele werden in Österreich immer die zweite Geige spielen hinter den Schneemännern. Das war auch jetzt zu beobachten, als sich ein großer Teil der Sportberichterstattung sich ums Comeback des Skihelden Marcel Hirscher drehte.

Zahlenspiele

Werdet Schwimmer oder Turner

Zumindest, wenn ihr Medaillensammler werden wollt. 15 Sportlerinnen und Sportler haben in Paris 4 und mehr Medaillen geholt, 12 im Schwimmen, 3 im Turnen. Sie haben einfach mehr Möglichkeiten dazu. Wer 100 Meter gut schwimmen kann, schafft das auch über 200 oder 50 Meter, dazu die Staffeln. Torri Huske aus den USA hatte insgesamt 4 Starts allein über ihre Spezialstrecke 100 Meter Freistil, gewann 4 Medaillen und eine noch über 100 Meter Schmetterling.
Schwimmer Leon Marchand war der einzige Paris-Starter, der viermal Gold gewann auf 4 Einzelstrecken.
Ein Ausnahmeathlet, gewiss, aber halt auch in der richtigen Sportart. Ein Ausnahmeringer kann pro Olympia nur einmal Gold gewinnen. Mijain Lopez aus Kuba hat das bisher einmalige Kunststück geschafft, zum fünften Mal hintereinander bei Sommerspielen dieselbe Disziplin zu gewinnen. Er ist seit 2008 (!) ungeschlagen. Und doch ist Superschwergewichtler griechisch-römisch in der „ewigen“ Rangliste der erfolgreichsten Olympioniken nur unter ferner liefen zu finden. Wollte er die 18 Goldenen des Rekord-Olympioniken Michael Phelps erreichen, müsste er bis 2072 ringen und gewinnen, dann wäre er 90 Jahre alt …
Ein Sonderfall sind die Reiter: Die können zwar auch nur höchstens 2 Medaillen/Spiele gewinnen, aber halt bis ins hohe Alter aktiv sein mit immer neuen Pferden. Isabell Werth etwa ist 55 Jahre alt. Mittlerweile hat sie seit 1992 acht Goldmedaillen erritten, davon siebenmal mit dem deutschen Team. Weitere Teilnahmen und auch Goldmedaillen zumindest 2028 und 2032 würde ich nicht ausschließen, zumal sie jetzt mit Wendy ein noch relativ junges und doch schon erfolgreiches Pferd hat, das sie zu Gold und Silber führte.

Ach, ihr Finnen

Eine Sportnation, der ich anhänge – und zwar nicht nur im Winter. Und jetzt ohne jede Medaille. Nicht in der Leichtathletik auf Nurmis oder Virens Spuren in der Langstrecke oder die zahlreichen Speerwerfen. Auch nicht im Schießen oder Segeln. Nichts, nada in 329 Wettbewerben.

Effiziente Chinesen

91 Medaillen gewann das Reich der Mitte, davon waren gleich 40 aus Gold. Ein tolles Verhältnis: Und das, obwohl Schwimmerin, na klar, Zhang Yufei sechsmal Edelmetall holte, aber nicht ein einziges Mal ganz oben auf dem Stockerl stand. Nur mal zum Vergleich. Auch die USA holten 40-mal Gold, bei insgesamt 126 Medaillen.

erstaunliche Holländer: Dieses verhältnismäßig kleine Land gewann 34 Medaillen, so viele wie noch nie. Vor allem Hockey (2 Gold) und Bahnradsport (3 Gold, 5 Medaillen) waren Oranje-Domänen. Mit Radsprinter Harry Lavreysen als Star, der bei 3 Starts dreimal Gold einheimste. Und natürlich meine Favoritin Femke Bol mit 3 Leichtathletik-Edelmetall (Gold, Silber, Bronze).
wunderbare Karibik: zumindest die Zwerginseln Domenica und Santa Lucia, für das Dreispringerin Thea Lafond und Julien Alfred über 100 Meter das erste Gold überhaupt holten. Witzigerweise am selben Tag binnen Minuten. Alfred steuerte über 200 Meter noch Silber hinzu. Herb enttäuschten dagegen die Jamaikanerin mit der schlechtesten Leichtathletikbilanz seit 2000.

So, das war es meinerseits von Olympia. Der Sport macht keine Pause, es wird mir also auch die kommende Zeit an Themen nicht mangeln.